Eine Amerikanerin in Berlin

Nachdem es am Abend zuvor wegen dringender Geschäfte teuflisch spät geworden war, schleppte ich mich zu „D'Est“, dem neuesten Film von Chantal Akerman, einer meiner liebsten Filmemacherinnen. Zwei Stunden später tauchte ich wieder auf — für den Wettbewerb um die beste Schlafmöglichkeit kann ich ihn nur empfehlen. Nicht, daß der Film nicht interessant wäre; tatsächlich gaben die langen Einstellungen vom russischen Alltagsleben mannigfaltigen Anlaß zu höchst interessanten Fragen, etwa wie viele von den Warteschlangen oder der Bilder aus Wohnungen tatsächlich Dokumentaraufnahmen waren, und bei welchen die Regisseurin ein kleines Bißchen nachgeholfen hat. Nein, „D'Est“ ist so schlaffördernd wegen Akermans Einstellung zum russischen Leben. Man kann wegsacken, während sich Leute nach den verschiedensten Sachen anstellen, und wenn man ein paar Minuten später wieder auftaucht, warten die selben Leute immer noch. Keine Autojagden, die man verpassen könnte, keine Sex-Szenen oder Hinweise auf den Mörder, und deshalb kriegt „D'Est“ gute Noten in der Kategorie Pennen und Dösen. Er ist keineswegs der einzige.

„Zeit“-Filmredakteur Andreas Kilb räumte verschämt ein, daß er gelegentlich in Filmen schlafe. Er behauptete sogar, als „Zeit“-Redakteur besitze er dazu eine besondere Lizenz. Am liebsten schläft er bei Festivalsiegern, wie 1987 bei dem Gewinner der Goldenen Palme in Cannes, „Die Sonne Satans“, oder dem Sieger von Venedig, „City of Sadness“. Über die Filme seines Schlafs bei der diesjährigen Berlinale wollte er keine Angaben machen, aber ich glaube, er wäre durchaus bereit, von Produzenten eine kleine... Aufmerksamkeit zur Anerkennung seiner Urteilsfähigkeit entgegenzunehmen. Christiane Peitz, die früher die Filmseiten der taz betreute, enthüllte mir, wo sie dieses Jahr eingenickt war: Bei Herbert Achternbuschs „Ab nach Tibet!“. Das ist ebenso gut wie „D'Est“. Laut Peitz handelt „Ab nach Tibet!“ von der Reinkarnation — jedenfalls der Teil, den sie wahrzunehmen vermochte. Wenn man also in einem Leben einschläft, kriegt man beim Aufwachen einfach ein anderes.

Die Filmemacherin Margit Knapp-Cazzola bezeichnet sich selbst als Berufsschläferin, seit sie selig lächelnd den ohrenbetäubenden „The Bands“ durchpennte. Wenn ich das richtig verstanden habe, läßt sie sich zu durchaus erschwinglichen Preisen anheuern, falls Sie eine Party ruinieren möchten. Ihr Freund, der Filmemacher Arpad Bondy, schlief als Tontechniker für den Dokumentarfilm „Mein Krieg“ ein, und dann noch einmal im Schneideraum eines anderen Films. Keine Frage, was dieses Paar im Bette tut. Vom Persönlichen mal abgesehen, verstehe ich nicht, warum Produzenten solche Leute Filme machen lassen. Seit altersher ist es doch wohl die erste Voraussetzung, daß die Filmemacher lang genug wach bleiben, um ihre Filme fertigzustellen. Kein Wunder, daß im deutschen Film ein solches Durcheinander herrscht.

Aber vielleicht bin ich auch allzu puristisch. Wenn, wie in „Libération“ berichtet, Godard zu Manoel de Oliveira sagen konnte, er habe Oliveiras neuesten Film verschlafen, dann sollte man uns auch ein wenig Nachsicht gönnen.

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Der Preis für die beste Schlafmöglichkeit ist nicht der einzige Wettbewerb, den die taz derzeit organisiert. Immer hautnah am Geschehen streiten sich die Redakteure darüber, wessen Orgasmus in Krzysztof Kieslowskis „Weiß“ zu bewundern war. Hatte ihn nun die Hauptdarstellerin Julie Deply oder mußte ein Double herhalten? Ich glaube, Kieslowski hat sich Meg Ryan aus „Harry und Sally“ ausgeliehen.

Die taz nimmt außerdem Hinweise darauf entgegen, von welcher PR-Firma sich die Fruchtfliegen vertreten lassen. Nur wenige Schauspieler oder gar ganze Filmfestivals kriegen soviel Aufmerksamkeit wie diese Insekten. Eben hatten sie die Hauptrolle in Robert Altmans „Short Cuts“, und jetzt drücken sie sich schon auf den internationalen Titelseiten herum, wegen ihres Auftritts in Los Angeles.

Wenn ich eine so gute PR hätte, müßte ich nicht allein frühstücken, ignoriert vom Schauspieler meiner Träume, der immer noch in meinem Hotel wohnt. Er ist ein Scheusal. Zu meinem Trost hat die taz einen weiteren Wettbewerb ausgeschrieben: Um welchen Schauspieler handelt es sich? Einsendungen bis 21. Februar an die taz. Erster Preis: ein Frühstück mit mir. Übrigens gibt es auch schon Filmpläne — Arbeitstitel: „Mein Frühstück mit...“ In meinem Film wird es mehr Sex geben als in dem mit André.

Da dies meine letzte Kolumne dieses Festivals ist, werde ich über die Ergebnisse des Frühstückswettbewerbs nicht mehr berichten können. Meine regelmäßige Spalte über die Vereinigten Staaten, „Short stories aus Amerika“, werde ich wieder aufnehmen, sobald dort so viel Schnee geschmolzen ist, daß überhaupt etwas passieren kann. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning