: Unterm Vogelblütenbaum
Ein Mann verkommt: ohne Frau, Geld und Tradition bleibt dem Inder nur der „Schutz der Flügel“ und ein krauser Bart (Wettbewerb) ■ Von Mariam Niroumand
Filme aus der sogenannten Dritten Welt können so elegisch daherkommen, wie sie wollen, immer geht es um ihre besonderen Produktionsbedingungen. Nicht von jedem Ort aus kann man ins Ideelle entweichen: Während ein Film wie „Fearless“ anstandslos als Parabel, Allegorie usw. durchgeht, bei „Shadowlands“ garantiert nie gefragt wird, für welches Publikum in England sowas eigentlich gemacht wird, werden Drittweltprodukte immer mit schnöder Materialität konfrontiert – in bester Absicht, versteht sich, wir wollen euch doch nur helfen.
Vergangenes Jahr wollte ein afrikanischer Regisseur was dostojewskimäßiges machen, aber in der Pressekonferenz wurde er dann doch nur gefragt, wie schwer es das afrikanische Kino hat. (Statt wie schwer es sein ungeheuer geworfener Protagonist hat. Erinnert sich noch jemand an Samba Traoré aus Burkina Faso?) So ähnlich erging es dem indischen Regisseur Buddhadeb (genau der richtige Vorname dieses Jahr!) Dasgupta mit „Charachar – Der Schutz der Flügel“. Auf spiegelnden Seeoberflächen wird die Geschichte des jungen Lakhinder mit den hohlen schwarzen Augen entfaltet, dessen Familie seit Generationen Vögel züchtet. Lakhinder ist auf verschlungenen Wegen zu der Auffassung gelangt, daß die Vögel Besucher von einem fremden Planeten sind. Sein Sohn Natai hatte vor einigen Jahren einen Wellensittich begraben und auf Nachfragen erklärt, er wolle, daß ein Vogelblütenbaum auf seinem Grab wachse. Am Tag darauf starb er.
Seitdem kann sein Vater verständlicherweise mit Vögeln nicht mehr so gut Handel treiben und läßt sie deshalb immer frei, statt sie für schnöden Mammon zu verscherbeln. Die Frau läuft ihm weg, sein Gesicht wächst mit krausem Barthaar zu, und schon morgens sitzen die Vögel auf seinem Fensterbrett im Haus am See und kreischen. Was als eine Geschichte über Freiheit von Frau, Geld, Tradition usw. gemeint war, hat die eigene Angst vor der Verwahrlosung nicht so recht unter Kontrolle. Auf meine Frage, ob er während der Dreharbeiten spaßeshalber noch einmal beim Kollegen Hitchcock vorbeigeschaut habe, sprach der Regisseur zu meiner großen Überraschung plötzlich von Ökologie.
Was aber auf jeden Fall schön war: Nachts, wenn die Vögel Ruhe gaben, sah man einen höchst violetten Himmel, paar Blätter drin, etwas Geglitzer vom See, und in der Ferne eine Sänfte mit einer Frau drauf. Mariam Niroumand
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