Was bedeutet denn hier schon Zeit?

■ Schwitzen im türkischen Frauenbadehaus "Hamam"

Was ist schöner als Fernsehen, Schokolade essen oder Sex? Ganz klar: schwitzen. Wer für die Karibik kein Geld hat, der muß nicht traurig sein. Gehen Sie doch einfach mal wieder baden. Aber nicht im überfüllten und naßkalten Hallenbad, wo kreischende Kinder jede absolvierte Runde mit einer Arschbombe vom Beckenrand quittieren. Nein, gehen Sie in ein türkisches Bad! Sie werden feststellen, daß dort mehr geboten wird als bloße Körperpflege. Dort findet man Entspannung und Trost für die vom Frost geplagte Seele.

Während das Baden in der Türkei für beide Geschlechter zu den alltäglichsten Dingen gehört, ist es hier in Westeuropa hauptsächlich Männersache, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Frauenbadehäuser sind eine Seltenheit. Es gibt in Europa außerhalb der Türkei lediglich drei – zwei davon befinden sich in Paris und eines in Berlin. Das Frauenbadehaus „Hamam“ in der Kreuzberger „Schokofabrik“ feierte gerade erst fünfjähriges Bestehen. Hier ist es nicht ganz so heiß wie in entsprechenden Bädern in der Türkei. Der Hauptraum, in dem man sich die meiste Zeit aufhält, hat eine Temperatur von etwa 35 Grad. Dort werden einem erst einmal die grundlegenden Dinge des Badens erklärt. (Wer sich völlig blöd anstellt, kann das Bad nämlich auch verschwitzt und ungewaschen verlassen.) Splitternackt, lediglich mit einem seidenen Waschläppchen ausgestattet, setzt man sich in eine der kleinen Nischen, in denen man sich am Wandbecken die richtige Wassertemperatur zurechtmischen kann. Mit einem einen halben Liter fassenden Gefäß schöpft man sich das Wasser ab, um es sich sogleich über den Körper zu gießen. Nach einer Weile hat sich der Schöpf- und Gießvorgang verselbständigt, die Entspannung setzt ein. Man schwitzt ganz ausgezeichnet.

Die Badezeit erstreckt sich insgesamt über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden. Damit einem nicht langweilig wird, nimmt man sich zur Unterhaltung am besten ein paar nette Freundinnen mit. So ganz nebenbei erfährt man dann ein bißchen Klatsch und Tratsch. Aber bitteschön das Baden nicht vergessen! Also immer hübsch weiter mischen, heißes Wasser zu kaltem und wieder ausschütten. Zur Abwechslung kann man sich auch zwischendurch einmal mit heißem Wasser begießen, danach sofort mit eiskaltem abschrecken und wieder von vorne anfangen: mischen und kippen. Und zwar solange, bis die Haut genauso so schrumpelig ist wie die Pelle einer Backpflaume. Ist das herrlich! Bei dem nächsten Schritt, dem Peeling, kommt der Seidenlappen zum Einsatz. Man reibt sich von oben bis unten damit ab, damit die schon abgestorbenen Hautzellen sich lösen. Und nun alles wieder von vorne: Wasser mischen, kippen. Mal heiß, mal kalt, mal gut gemischt. Dann wieder schwitzen und rubbeln. (Achtung, jetzt ist die beste Gelegenheit gekommen, um sich einzuseifen. Wer später nach einer Dusche sucht, wird vergeblich suchen.) Vor der Massage, die die Hauptsache des Badens ist, gibt es Tee. Nach diesem umfangreichen Vorprogramm sollten eigentlich alle völlig warm und entspannt sein, wenn nicht, sorgt spätestens die Masseuse dafür. Wer sich nett mit ihr unterhält, bekommt den Rücken schon mal ein bißchen gründlicher massiert – was bedeutet hier schon Zeit? Kirsten Niemann

Schokofabrik, Naunynstr. 72, Kreuzberg