Karriere in Ketten

■ Das Erste gratuliert zum 70. Geburtstag: sechs Filme mitSidney Poitier

Kurz nach Kriegsende meldete sich in New York ein mittelloser junger Schwarzer auf eine Zeitungsannonce des American Negro Theatre, das neue Schauspieler suchte. Theaterleiter Frederick O'Neal ahnte gleich, was die Leseprobe rasch bestätigte: Der vorwitzige Bursche mit dem breiten Slang westindischer Einwanderer verfügte nicht über die geringste Bühnenerfahrung. Sidney Poitier, so der Name des kecken Aspiranten, fand sich alsbald auf der Straße wieder.

Am 12. März 1992 stand Poitier erneut im Rampenlicht – um den vom American Film Institute vergebenen „Life Achievement Award“ entgegenzunehmen. Damit befand sich der ehemalige Gelegenheitsarbeiter in bester Gesellschaft: Vor ihm hatten unter anderem Frank Capra, Orson Welles und Gregory Peck den Ehrenpreis bekommen.

Diese beiden Auftritte markieren die Wegstrecke eines Mannes, der als erster schwarzer Schauspieler die Position eines Spitzenstars einnahm. Jener schmählich gescheiterte Versuch hatte Poitier keineswegs entmutigt; er strebte nun erst recht ins Bühnenfach, übte unermüdlich, um seine Ausdrucksweise zu verbessern, sprach erneut vor und wurde angenommen. Binnen kurzem genoß er einen ausgezeichneten Ruf als Theaterschauspieler; 1949 gab er sein Leinwanddebüt.

Poitiers Hollywood-Karriere begann in einer Phase des Umbruchs. Immer häufiger unterliefen Autoren und Regisseure die Restriktionen der Zensur. Wenngleich weit entfernt von expliziter Sozialkritik, erhielt doch die Darstellung der Rassenproblematik mehr Raum. Der talentierte, gutaussehende Poitier war geeignet, diese Thematik zu transportieren. Die Filmindustrie gewährte ihm die Chance, in den Olymp der Kinogötter aufzusteigen, diktierte aber die Bedingungen. Anders als die Darsteller der unabhängigen „black-orientated movies“, sah sich Poitier als Mitwirkender großer Hollywood-Produktionen zwangsläufig mit den Konventionen des Kommerzkinos konfrontiert. In diesem Wertesystem hatten Schwarze nur Platz, wenn sie moderat und distinguiert auftraten – schließlich wollte man die weißen Zuschauer nicht verprellen. Die alten Klischees der „Neger-Mummy“ und des schwarzen Tanzclowns wurden durch ein neues ersetzt: das des wohlerzogenen, kompetenten, herzensguten „noble negro“. Diesem idealisierten Image entsprechend, spielte Poitier häufig Angehörige besonders prestigeträchtiger Berufe. Unweigerlich mußten seine Figuren außerordentliche Fähigkeiten oder doch zumindest edelste Gesinnung vorweisen. In „Edge of the City“ opfert er sein Leben für John Cassavetes, in „Flucht in Ketten“ verzichtet er zu Tony Curtis' Gunsten auf seine Freiheit. Auch Norman Jewisons „In der Hitze der Nacht“ wurde kritisiert, weil sich Poitier als Kriminalist Virgil Tibbs die Achtung des rassistischen Sheriffs (Rod Steiger) unter Einsatz seines überragenden Könnens gleichsam erkämpfen muß.

Während die Bürgerrechtsbewegung bereits an Einfluß gewann, handelten Hollywoods Autoren das Thema Rassendiskriminierung noch immer in melodramatischen Filmen ab, die mit der häßlichen Wirklichkeit wenig gemein hatten. Verglichen mit dem krassen Leinwandrassismus früherer Jahre konnte Poitiers Werdegang dennoch als positive Entwicklung registriert werden. So schreibt der Filmhistoriker Gary Null: „Aus heutiger Perspektive wirkt Poitiers Edelmut ,Uncle Tomish‘. Im Kontext der Fünfziger aber stand ein schwarzer Mann mit Würde und Ehrgefühl für die Revision früherer Rollenbilder.“

Als erster schwarzer Hauptdarsteller erhielt Poitier 1963 einen Oscar – für „Lilien auf dem Felde“, bezeichnenderweise ein Film, in dem das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß besonders realitätsfremd dargestellt wurde. Obwohl er nach mehreren Oscar-Nominierungen bereits Starruhm genoß, mußte sich Poitier noch immer den Entscheidungen anderer beugen – die stereotype Hauptrolle in „Porgy and Bess“ beispielsweise behagte ihm gar nicht, aber, so Poitier, „von verschiedenen Seiten wurde Druck auf mich ausgeübt, und es gab die Drohung, daß meine Karriere von heute auf morgen zu Ende sein könnte“.

Immer wieder ist Poitier vorgehalten worden, er habe seine afroamerikanische Identität der Anpassung an das weiße Establishment geopfert. In den sechziger und siebziger Jahren – als er zeitweise die Liste der erfolgreichsten Kinoschauspieler anführte – zog er die Konsequenzen und nahm als Produzent und Regisseur größeren Einfluß auf seine Filme, die jedoch neben den ungleich radikaleren schwarzamerikanischen Produktionen jener Tage ausgesprochen harmlos wirkten. Später zog er, der jedenfalls Nachfolgern wie Richard Pryor, Denzel Washington und Wesley Snipes den Weg geebnet hat, sich von der aktiven Filmarbeit zurück. Eine seiner letzten großen Rollen spielte er 1988 in „Mörderischer Vorsprung“. Am 20. Februar wird Poitier 70 Jahre alt. Aus diesem Anlaß zeigt die ARD eine Reihe mit sechs Filmen des Schauspielers.

Harald Keller

19. Februar, 22.30 Uhr: „In der Hitze der Nacht“

26. Februar, 23.10 Uhr: „Zehn Stunden Zeit für Virgil Tibbs“

3. März, 0.25 Uhr: „Träumende Lippen“ (A Patch of Blue)

4. März, 23.55 Uhr: „Flucht in Ketten“ (The Defiant Ones)

5. März, 0.10 Uhr: „Die Organisation“ (The Organization)

11. März, 23.55 Uhr: „Paris Blues“