Wand und Boden
: Dem Unkundigen das Offenkundige verrätseln

■ Kunst in Berlin jetzt: Florian Zeyfang, Klaus vom Bruch und Boris Mihailov

„Home Shop Life-Box“, das sind nur schöne Worte. Sie kommen typographisch elegant daher oder plakativ bunt auffordernd. Es sind Worte, die dem Englischen entstammen, der Weltsprache der business affairs, der small world von Wissenschaft und Technik und nicht zu vergessen, des consumerism. Sie sind die Zeichen an der Wand. Auch in Japan. Wie in der allgirls-Galerie, wenngleich „allgirls“ dort hochgestreckt und blau im Fenster buchstabiert wird. Florian Zeyfang hat für seine „home shop life-box“- Schau eine weiße Stellwand in den Galerieraum eingezogen. Dort hängen Fotoreproduktionen aus einem Architekturkatalog, der sich mit der Fassaden- und Innenraumgestaltung japanischer Edelschuppen für Konditoreiwaren, Kosmetik und Klamotten sowie Bars und Restaurants befaßt. Alle zeichnen sich dadurch aus, daß sie auf ihrer Front unter englischem Namen in lateinischen Buchstaben firmieren. Ihre Herkunft aus einem Druckwerk verdeutlichen die Bilduntertitel in japanischer Zeichenschrift, die dem Unkundigen das Offenkundige verrätseln. Auf der gegenüberliegenden Galeriewand klären schwarzweiße Fotokopien durch Übersetzerleistung auf. Die Bildunterschrift zum Möbelladen „Interior Object“ etwa lautet: „Blick von außen auf ,Interior Object‘“. Zeyfangs komplexe „Kulissengeschichte“ macht die ästhetische Differenz zwischen der schriftmalerischen Charakteristik zweier Sprachen zum Ausgangspunkt möglicher Reflexionen über den Sex-Appeal von Worten, ihre Bedeutung in verschiedenen Kulturen, ihre Funktion als Sub-Architektur des International Style, als Informationscontainer, der visuell deutlich definierte Orte ins Diffuse spröder (oder auch öder) Alltagspoesie verrückt, wie „Heart Art“, „Roxy“ oder „mon poème“. Überlegungen zu Hierarchien über Definitionsmacht lassen sich über die intelligent kunstferne Arbeit ebenso anschließen, wie Überlegungen zum Spiel mit dem Exotischen und seiner ungenierten falschen Aneignung. Wer käme drauf, daß die Tea- lounge „dorama“ nichts anderes meint als „drama“?

Bis 27. Februar, Kleine Hamburger Straße 16, Mi-So 15-18 Uhr

Übersetzung ist auch der Prozeß, dem Klaus vom Bruch bei Eigen + Art nachgeht. Auf dem „Hollywood Tisch“ zeichnet eine Videokamera den Peilstrahl einer Radaraufnahme aus Peenemünde auf, ein Projektor und ein Spiegel werfen das Bild an die Decke der Galerie, wo der regelmäßige Kreis anamorph auseiert. Neben Bildplatte und Kamera-Projektor-Konstruktion komplettiert ein silikonüberzogener Schneidetisch die Installation. Daß die Medienkunst marginal widerständig gegen das Komplott zwischen militärisch-technischer Entwicklung und Unterhaltungsindustrie steht, drängt sich leider als allzunahe liegende Übersetzung der Arbeit auf. Dann trifft man auf das multiple „Kurzschluß, Joseph kannst du uns hören“, eine mit rotem Silikon überzogene Autobatterie auf obligatem Sockel. Kaum ist einem, natürlich, Beuys eingefallen, da denkt man auch schon an Goebbels. Hört man doch die gehetzten Stimmen zweier Männer, die hurtig über die „Hetzmasse“ parlieren, einen besonderen, explosiven Aggregatzustand gewissermaßen, in dem sich die Masse Mensch hin und wieder befindet: Die silikonüberzogene Teac-Tonbandmaschine und ihr parallel gestelltes silikonfreies Pendant, bilden denn auch den „Adorno Canetti Tisch“. Im Keller ist schließlich das Problem „Masse und Macht“ in die große weiße „Amerika-Kiste“ gepackt. Die hölzerne Versandkiste mit Aufdruck „works of art“ beinhaltet eine Videoprojektion, die den „máximo lider“ Fidel Castro zeigt, wie er die Hetzmasse konstruiert, indem er gegen die Yankees in Amerika agitiert. Während der Projektor sich dreht und seine Filmbilder an die Kellerwände wirft, klappt der Kistendeckel per Teleskop-Feder auf und zu. Auch wenn es hinlänglich komisch ist, daß Castro in der großen, allumfassenden, geschlossenen Amerika-Kiste rappelt, das politische Format der neuen Arbeiten von Klaus vom Bruch ist das kleine.

Bis 26. Februar, Auguststraße 26, Di-Fr, 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr

„Am Boden“ ist eine Serie von Bildern von Boris Mihailov in der Fotogalerie des Kulturamts Friedrichshain betitelt, die sich eines paradoxen fotografischen Mittels bedient. Die Weitwinkelaufnahmen haben Panorama-Format, aber anstatt den Horizont zu öffnen, den dokumentarisch-aufgeklärten Überblick zu gewähren, bleiben sie, wie der Titel sagt, „am Boden“ kleben. Die russische Re-Vision einer fotografischen Praxis mit streng codifizierten Regeln, als „street-photography“ bekannt. Zu ihren großen Protagonisten gehören Walker Evans, Henri Cartier-Bresson, Robert Frank, Lisette Model oder Lee Friedlander. Straßenfotografie also im doppelten Sinn, die Begebenheiten des alltäglichen Lebens im öffentlichen Raum der Straße werden an deren Material gebunden. Immer dominant im Bild, ist sie schmutzig, löchrig, vollgestellt mit Gerümpel, dann aber auch mal trostlos öde, weit und leer. Die Menschen sind arm, aber sie handeln mit dem wenigen, das sie haben. Stopft man in New York schon einmal ein Schaf ins Taxi, so zerrt man in Charkov einen Ziegenbock hinter sich in die Straßenbahn. Doch Mihailov reduziert die ukrainische Straße nicht zum Exotikum zufälliger, surrealistischer Begegnungen im fotografischen Schnappschuß. Männer pissen an eine Hausecke oder liegen volltrunken auf der Straße, daran ist nichts Unwahrscheinliches. Das ereignet sich eher beim sommerlichen Badevergnügen, das unter dem Titel „salt lakes“ in der fotogalerie in der brotfabrik zur Ausstellung kommt. Enorme Menschenmengen drängen sich in wüstem Industriegelände an einem mit ekligen Schaumkronen übersäten See. Weder Lokomotive, Schienenstränge, meterdicke Abwasserrohre oder ein lang hingezogenes Wellblechdach als begehrter Sonnenschutz scheinen das vergnügte, kaputte, vitale Chaos zu stören. Masse und Macht gehen in der Rußland-Kiste baden.

Bis 26. Februar, Helsingforser Platz 1, Di-Fr, 11-18 Uhr, Sa 14-18 Uhr; bis 6. März, Prenzlauer Promenade 2, Mi-So, 15-20 Uhr

Und noch was: Wer die Zusammenhänge von Kuh und Kalb historisch-phänomenologisch nachstudieren will, dem sei eine Veranstaltung am 19.2., um 19 Uhr, Hörsaal 158 der HdK, Hardenbergstraße 41 empfohlen. Dort wird der englische Dokumentarspielfilm „Freeze“ von Mark James und anderen über den rasanten Aufstieg Damien Hirsts und der lokalen Londoner Szene gezeigt – mit Donald Pleasence als Zahnarzt. Brigitte Werneburg