Gezeichnet von brutalen Schlägen

„Sieben Jahre lang konnte ich überhaupt nicht träumen“  ■ Bericht eines Folteropfers

Herr H. ist seit fast zwei Jahren Patient des Behandlungszentrums. Er ist 45 Jahre alt und stammt aus Äthiopien. Zwölf Jahre seines Lebens hat er im Gefängnis zugebracht, weil er einer ethnischen Minderheit angehört, der Volksgruppe der Oromos.

„Sie wollten ein Geständnis erzwingen, daß ich Mitglied der Oromo-Befreiungsfront sei. Ich weigerte mich, dies zuzugeben, weil es nicht stimmte. Von Anfang an haben sie mich geschlagen. Und das dauerte ungefähr fünf Monate, so lange, bis die Verhöre beendet waren. In der ersten Zeit war ich in einem besonderen Gefängnis. Gefangene, die dorthin gebracht wurden, galten als besonders gefährlich. Deshalb glaubte ich, daß sie mich umbringen würden.

Sie ordneten die Folter an. Dann brachten sie mich in einen Raum; sie nannten ihn Null-Raum oder Kuchen-Raum. Kuchen- Raum, weil sie einem stinkende oder schmutzige Sachen in den Mund steckten, so daß man nicht schreien konnte. Dann verbanden sie meine Augen und schlugen meinen Kopf gegen die Tür. Sie warfen mich in einen Raum mit zwei Leuten. Der eine schlug mich auf dieser Seite, der andere auf der andern. Dann fiel ich auf den Boden. Danach fesselten sie mich und hängten mich auf. Dann begannen sie, mich mit Eisenstangen zu schlagen. Sehr lange. Ich sagte, ich wüßte nichts. Nach 15 bis 20 Schlägen war mein Körper meistens wie tot. Dann benutzten sie Salzwasser und „wuschen“ die Wunden damit. Dann fingen die Schläge wieder von vorne an.

Da gab es einen zwei Meter langen Korridor. An beiden Seiten befanden sich Zellen. Sechs auf der einen Seite, sechs auf der anderen. In diesem Korridor liefen wir von Zeit zu Zeit umher. Wenn sie sagten: ,Geht rein‘, rannten alle in ihre Zellen. Geht rein hieß, daß sie jemanden von uns holten, um ihn zu töten. In den Zellen warteten alle darauf, wer derjenige sein würde, den sie holen würden. Sie kamen, riefen die Personen, die sie wollten, und gingen. Dann riefen sie: ,Geht raus‘, und wir gingen wieder raus. Nach einer Stunde kamen sie wieder und riefen: ,Geht rein‘, dann gingen wir hinein und warteten darauf, daß wir an die Reihe kämen. Das ging drei Jahre so.

Eines Tages folterten sie mich ganz furchtbar. Mein Fuß war schwer verletzt und Blut floß auf den Beton wie Wasser. Da kam ein Folterer, schaute mich an und fragte: ,Bist du darüber traurig? Wenn du traurig darüber bist, leck es auf!‘ Dann faßte er mich am Nacken und zwang mich mit Gewalt, mein Blut aufzulecken.

Eine andere Foltermethode, an die ich denke, war folgende: Sie füllten eine Tonne mit kaltem Wasser und hatten eine chemische Seifenlauge darin. Sie banden unsere Füße zusammen und hängten sie an der Decke auf und steckten uns mit dem Kopf in die Tonne. Die Tonne war mit Erbrochenem und Fäkalien gefüllt. Es war eklig. In diese Tonne stießen sie uns hinein und wieder hinaus, bis wir das Bewußtsein verloren.

Einige Male wäre ich froh gewesen, wenn sie mich umgebracht hätten. Ich habe sie zu provozieren versucht, mich totzuschlagen – vergeblich. Während der Folter wurde ich häufig mit Ketten oder Stricken so brutal an den Handgelenken gefesselt, daß ich danach nicht mehr mit meinen Händen essen konnte. Ein halbes Jahr lang mußte ich gefüttert werden.

Sieben Jahre lang konnte ich überhaupt nicht träumen, und jetzt allmählich träume ich von meinen Eltern, die starben, als ich im Gefängnis war. Und im Traum suche ich wieder Orte auf, an denen ich als kleiner Junge gewesen bin. Jetzt träume ich nicht mehr diese unbeschreiblichen Dinge, die furchtbaren Alpträume verlieren langsam ihren Schrecken.“

Als die Mediziner im Berliner Zentrum H. untersuchten, hatten sie einen Patienten vor sich, dem man sämtliche Nägel an Händen und Füßen ausgerissen hatte und an dessen Gelenken kaum noch Fleisch zu sehen war. Die Fußsohlen waren gezeichnet von der Falanga, von Schlägen mit dem Stock, und auf dem rechten Ohr war er taub – nach ärztlicher Diagnose ein körperliches Wrack. Außerdem traten schmerzhafte Zustände im Brustbereich auf, die sich im Laufe der Behandlung jedoch veränderten. In dem Maße, in dem durch Entspannungsübungen und eine Hypnosetherapie sein Körperempfinden zurückkehrte, in dem Maße begannen die Schmerzzustände durch den Körper zu wandern, bis sie schließlich in einem verschobenen Magen lokalisiert wurden und eine medikamentöse Behandlung Linderung brachte.

Nach zwei Jahren medizinischer, psychotherapeutischer und krankengymnastischer Behandlung zieht der Psychotherapeut Norbert Gurris Bilanz: „In seinen Umarmungen nach Oromo-Sitte dürck Herr H. jeweils aus, wie es ihm geht. Vor einer Woche sagte er: ,It's nice to be here, even though I have suffered the whole night long.‘ Trotz häufiger Rückfälle wissen wir beide, daß seine Symptomatik im Durchschnitt um die Hälfte verringert ist und daß er nachts im Durchschnitt fünf bis sechs Stunden schlafen kann, statt ein bis zwei Stunden. Noch etwas hat sich verändert: Er hat sich aufgerichtet. Manchmal ist sein Ausdruck voll Stolz. Eines Tages, so hoffen wir, wird er sagen können: ,Ich war ein Opfer – ich bin ein Überlebender.‘“