Deutsch für Ust-Kamenogorsk

■ Slawistikstudenten lehren Deutsch im Osten / Was Aussiedlerströme abhalten soll, wirkt als Rückkehrhilfe / Deutschtümler organisieren, der innenminister zahlt

Jeden Mittwoch steigt Friederike Terpitz in den Schulkeller, um dort verfaulte Kohlköpfe aus den Vorräten auszusortieren. Der ungewöhnliche Dienst gehört zum Alltag der Lehrer im zwei Stunden von Kaliningrad entfernten Dörfchen Babuschkino – ebenso wie das Unterrichten in eisigen Klassenräumen, wenn die Schulheizung bei Außentemperaturen von 25 Grad minus ausfällt. Daran hat sich die 28jährige Lehramtskandidatin gewöhnt. Was sie jeden Tag aufs neue verblüfft, ist die Todesverachtung, mit der ihre russischen Kolleginnen auch bei größter Kälte in Rock und Pumps zur Schule kommen.

Seit Oktober letzten Jahres arbeitet Friederike im Rahmen eines vom Auswärtigen Amt finanzierten Programms als „Sprachassistentin“. Ihres und das Ziel zwanzig anderer Deutschlehrer sind Rußland, Kasachstan, Kirgisien, Irkutsk, Kaliningrad und die Ukraine. Dort leben große deutsche Minderheiten. Organisator des Programms ist der umstrittene „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA). Der VDA wird massiv vom Bundesinnenministerium bezuschußt – 1990 und 1991 mit 110 Millionen Mark –, um die Aussiedlerströme zu begrenzen.

Ein Ziel, das durch die Entsendung von Sprachassistenten nicht unbedingt erreicht wird: „Die deutschstämmigen Eltern meiner Schüler hatten alle schon Ausreiseanträge gestellt“, berichtet der Bochumer Slawistikstudent Oliver Berger, der vor einem Jahr im sibirischen Ust-Kamenogorsk unterrichtet hat. „Sicher, viele lernen mit dem konkreten Ziel Deutsch, nach Deutschland auszusiedeln“, weiß auch Marina Gräfin zu Dohna, Leiterin der Abteilung Kultur im VDA. Trotzdem freut sie sich über den „enormen Bedarf“ der russischen Schulen: „Die Deutschfreundlichkeit ist dort sehr groß.“

Die deutschen Sprachassistenten übernehmen nicht selten den regulären Deutschunterricht. „Manchmal ist der Deutschlehrer halt vor zwei Tagen ausgewandert“, sagt Gräfin zu Dohna, „oder er geht mal gerade seine Kuh melken, statt zu unterrichten.“ Zweifel am Nutzen des Programms für die russischen Schulen äußerte Klaus Fischer vom Goethe-Institut. Er hält es „weder für ergiebig noch sinnvoll, immer nur für ein paar Monate Leute nach Rußland zu schicken“. Vernünftiger sei es, „den Lehrerbedarf durch Fortbildung auf lange Sicht zu decken“.

Friederike Terpitz lernt derweil für 1.800 Mark monatlich in ihrem verträumten Dörfchen den Alltag russischer Bauern kennen. Die vierköpfige Familie der Schuldirektorin hat ein Zimmer in ihrer Dreiraumwohnung freigeräumt. Nachts spukt eine Maus herum. Zum Frühstück gibt es deutsche Alfalfa, aus dem Reformhaus daheim. Der sonstige Vitaminbedarf wird durch Tabletten und russische Kohlsuppe gedeckt. Deutsch lehrt Friederike in der Woche viermal, sie unterrichtet Erwachsene im Abendkurs. „In Babuschkino ist abends überhaupt nichts los, man kann höchstens am Wochenende nach Kaliningrad fahren“, klagt sie.

Daß sie für den VDA arbeitet, ist Friederike Terpitz ein wenig peinlich – schließlich machte der Berliner Verein „Lupe e.V.“ im Dezember letzten Jahres mit einer umfangreichen Dokumentation auf Verbindungen von VDA- Funktionären zu rechtsextremen Vereinen und Zeitschriften aufmerksam. „Das war mir von vornherein ein bißchen unangenehm“, sagt Friederike. Sie glaubt aber, daß sie „so die Wartezeit für das Referendariat am sinnvollsten überbrücken kann“. Miriam Hoffmeyer