Streit um ein Middle-class-Schloß

Auf Rügen erheben ein Gastronom und ein Adeliger Anspruch auf Schloß Spyker / Der Alteigentümer besteht auf Rückgabe / Betroffene gründen Verein der Restitutionsgegner  ■ Von Jantje Hannover

Der Schnee macht aus Rügen eine Wüstenlandschaft in Weiß. Hinter jeder Unebenheit im Boden bläst der Wind kleine Schneewehen auf. An den erhöhten Grasnarben am Staßenrand bricht die zackig überstehende Schneekruste in Schollen herab, und hier und da ragt ein kahler Baum aus dem weißen Pulver. Im ungünstigsten Fall machen die Schneedünen sogar ganze Straßenzüge unpassierbar.

Schloß Spyker ist nur per pedes oder mit einem Schlittenhundgespann zu erreichen. Kurz hinter Sagard leuchten die weinrot gestrichenen Mauern aus dem verschneiten Tal hervor. Erst auf den zweiten Blick ist das vierstöckige Gebäude mit dem steilen Dach als Schloß erkennbar, denn die vier runden Türme an jeder Ecke lassen es eher wie eine mittelalterliche Trutzburg wirken. Nicht ganz zu Unrecht – immerhin wurde das Haus bereits Anfang des 15. Jahrhunderts gebaut.

Das museumsreife Gemäuer thront ziemlich verlassen vor dem schilfbewachsenen Meerbusen, der Spykerschen See. Schloßpark und Parkplatz sind leer – nur ein großes Schild am Straßenrand mit der Aufschrift Hotel und Restaurant weist den vorbeifahrenden Inselbesucher darauf hin, daß hier nicht nur Dornröschen schläft.

„Der Winter ist auf Rügen eine Katastrophe“, sagt Ursula Krawwert, die den Treppenaufgang im Schloß mit dem Schrubber bearbeitet. Zur Zeit ist sie die einzige Angestellte. Ihr Wirken auf den schwarzen Steinstufen allerdings scheint vergebene Liebesmüh, denn vom Schmutz ist auf der Treppe ebensowenig zu sehen, wie von Gästen im dahinter gelegenen Empfangszimmer.

„Die Zeit von November bis April ist ohnehin Sauregurkenzeit“, räumt Karl-Heinz Ließmann ein. Daß der per Kaufvertrag zum Schloßbesitzer geadelte Rügener heute allein in seiner Rezeption sitzt, ist aber eher Fürst Franz zu Putbus als den winterlichen Außentemperaturen zuzuschreiben. Zu Putbus, der wohl größte Alteigentümer Deutschlands, erhebt Anspruch auf 15.000 Hektar Land und Wald, 28 Gehöfte, diverse historische Bauten in und um das Städtchen Putbus und zwei Schlösser. Darunter auch Schloß Spyker.

Und weil seine derzeitige Existenz als Fuhrunternehmer im Niederrheinischen vielleicht unter Niveau für einen Blaublütigen ist, will er jetzt alles zurückhaben. Dem Amt für offene Vermögensfragen in Schwerin liegen seitenlange Listen über den gesamten Familienbesitz vor. Obwohl die Behörde bereits im Sommer letzten Jahres einen abschlägigen Bescheid erteilt hat – der Einigungsvertrag sieht für Enteignungen aus der Bodenreform in den Jahren 1945 bis 1949 keine Rückgabe vor – mag der Fürst nicht aufgeben. Vor Gericht versucht er zu beweisen, daß sein Vater, Fürst Malte zu Putbus, bereits vor 1945 von den Nazis enteignet worden ist.

Pech für Karl-Heinz Ließmann, der auf seinem auf Pump erworbenem Schloß vorerst nicht investieren kann. „Die Verluste für die Volkswirtschaft durch entgangene wirtschaftliche Tätigkeit belaufen sich auf Milliardenhöhe“, stöhnt der Ostdeutsche angesichts der unzähligen Restitutionsverfahren, die — zumindest bei den Gerichten — noch für Jahre die Vollbeschäftigung sichern. Weil er sich auf der Insel in trauriger Gesellschaft befindet, wurde im Oktober letzten Jahres die „Vereinigung Bedrohter und Betroffener durch Restitutionsansprüche“ gegründet, zu deren Vorsitzenden er mittlerweile gewählt wurde.

Bereits im Oktober 1992 hatte der 43jährige Ließmann, ehemals gastronomischer Direktor vom FDGB-Feriendienst Binz, den Zuschlag von der Treuhand erhalten: Unter diversen Bewerbern war sein Betriebskonzept das überzeugendste. Vor allem, weil er als einziger dem Denkmalschutz einen gebührenden Platz einräumen wollte und will. Für ihn sei das Schloß kein lukratives Spekulationsobjekt, sondern eine Art Jugendtraum, der Wirklichkeit wird. „Solange ich hier lebe, habe ich mich von dem Platz angezogen gefühlt.“ In seiner Konzeption gibt es daher keinerlei moderne Anbauten. Am liebsten würde er das historische Ensemble wiederherstellen: Ein direkt am Schloß gelegener Dreiseitenhof war schon vor dem Zweiten Weltkrieg abgebrannt.

Natürlich soll auch die halbplastische Stuckdecke aus dem 16. Jahrhundert im zweiten Stock erhalten bleiben. Voll ausgeformte Arme und Beine ragen von luftiger Höhe herab. Unter der illustren Gesellschaft von Paris und den drei Grazien aus dem Olymp plant Ließmann eine Hochzeitssuite: „Das wird hier mal was für den gehobenen Mittelstand.“ Zinsverbilligte Kredite aus dem Existenzgründerprogramm und Förderungen für besonders touristisch zu entwickelnde Gebiete – der Rest sollte mit Bankkrediten abgedeckt werden. „Die Finanzierung stand voll da.“ Der Jungunternehmer hatte die ersten Aufträge für den geplanten Umbau bereits unter Dach und Fach. Selbst der Fürst gab anfangs sein Okay: „Sie sind noch jung, Herr Ließmann, machen Sie das mal.“ Doch dann kam alles anders.

Auf Rügen hat sich Franz zu Putbus nach und nach zur meistgehaßten Person der Insel gemausert. „Man kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Alte Besitzstrukturen lassen sich nicht wieder herstellen.“ Mit derlei vollmundigen Ankündigungen verhalf zu Putbus, der für die CDU auf Rügen Wahlkampf machte, seiner Partei 1990 zum Wahlsieg. Er selbst zog in den Kreistag ein. Sehr zum Zorn der Rügener, die ihn inzwischen als „größen Wahlkampflügner aller Zeiten“ titulieren. Nur wenige Monate Schamfrist ließ er verstreichen, bis er mit seinen umfangreichen Restitutionsansprüchen herausrückte.

Ganz abwegig ist die Idee mit der Enteignung durch die Nazis nicht: Nach anfänglicher Kooperation mit den faschistischen Machthabern war sein Vater 1944, einen Tag nach dem Attentat auf Hitler, verhaftet worden und ist später im KZ Sachsenhausen umgekommen. Beweise für einen gleichzeitigen Entzug des Familienbesitzes sind bisher nicht gefunden worden. Auf Schloß Spyker zum Beispiel war bis zur Bodenreform in der DDR die Familie von Binzer als Pächter ansässig. Bis zuletzt wurde die Pacht ordnungsgemäß an den von der fürstlichen Familie eingesetzten Verwalter Carl Gustav von Platen abgeführt.

Dem verhinderten Hotelbesitzer nützt das wenig. Gegen die Verkehrsgenehmigung vom Grundstücksamt in Glowe hatte Putbus Widerspruch eingelegt. Nach einem juristischen Schlagabtausch, bei dem der Fürst aufschiebende Wirkung durchsetzen konnte, wird demnächst das Investitionsvorrangsverfahren in Berlin verhandelt. „Ich habe alles storniert“, sagt Ließmann, der das Schloß erst mal weiter benutzen darf. Aber für Investitionen fehlen ihm jegliche Sicherheiten. Da er wegen des geplanten Umbaus im Winter keinerlei Belegung hat, belaufen sich die Umsatzverluste inzwischen auf über 120.000 Mark. Von den verlorenen Arbeitsplätzen für die Rügener mal ganz zu schweigen.

Dabei sind die 37 Zimmer im Haus, das 1964 zu einem FDGB- Ferienheim umgebaut wurde, durchaus bewohnbar. Nachdem das Haus nach Kriegsende mehr und mehr verfallen war - Ließmann: „Zwischen Taubendreck und geborstenen Balken konnte man bis ins Dachgeschoß durchgucken“ -, wurde es 1964 zum FDGB-Ferienheim umgebaut. In der Rezeption zeugen kaum benutzte Sitzelemente in altrosa Plüsch und die Perserimitation auf dem Parkett davon, daß das Ambiente auch im Sozialismus zum gehobenen Standard zählte.

Nachdem ihm das nervenaufreibende Theater um seine Pläne anfangs „emotional ganz schon zu schaffen“ gemacht hatte, sieht der Jungunternehmer, der bereits erfolgreich ein Restaurant in Binz betreibt, der weiteren Entwicklung gelassen ins Auge. Schließlich hat er schon im Sozialismus gelernt, mit widrigen Umständen umzugehen. „Wenn ein Lieferant heute zu mir sagt, ,haben wir nicht‘, da geb ich noch lange nicht auf!“ Ob das früher die Dose Champignons oder Ananas war - der einstige Chefkoch hat sich schon damals seine Erfolgserlebnisse organisiert, indem er dem FDGB-Ferienpublikum was auf den Teller zauberte, das „in unserer Kategorie nicht vorgesehen war“.

Tatsächlich stehen die Chancen nicht schlecht, daß beim west-östlichen Schlagabtausch „Putbus gegen Ließmann“ der Adelige erst mal den Kürzeren zieht. Den fristgerechten Termin für eine eigene Konzeption hat er beim Verwaltungsgericht Berlin bereits ungenutzt verstreichen lassen. – „Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Restitution. Aber statt ,Rückgabe vor Entschädigung‘ hätte der Grundsatz ,Entschädigung vor Rückgabe lauten müssen“, meint Ließmann in seiner Funktion als Vereinsvorsitzender der Restitutionsgegner. Dann jedenfalls könnte das „gehobene Mittelklassepublikum“ bereits heute im Schloß ein- und ausgehen.