NS-Mordprozeß jahrelang erfolgreich verschleppt

■ Angeklagter jetzt verhandlungsunfähig

Münster (taz) – Nach über vierjähriger Prozeßdauer ist gestern einer der letzten großen NS-Prozesse in Deutschland ohne Urteil zu Ende gegangen. Ein medizinischer Gutachter hatte dem inzwischen 90jährigen Angeklagten Boleslavs Maikovskis zuvor die Verhandlungsunfähigkeit attestiert. Daraufhin setzte die 2. Große Strafkammer des Münsteraner Landgerichts die Verhandlung gegen den Letten aus. Faktisch ist der Prozeß damit gelaufen. Dem schon seit längerem von der U-Haft verschonten Angeklagten wird vorgeworfen, als Hauptmann der lettischen Nazi-Hilfspolizei an der Ermordung von 170 Menschen aus dem lettischen Dorf Audrini Anfang 1942 beteiligt gewesen zu sein. Außerdem soll der 1965 von einem sowjetischen Gericht in Riga in Abwesenheit zum Tode verurteilte Maikovskis, der die Taten bestreitet, zumindest die Ermordung des Juden Falk Bosch persönlich angeordnet haben. Das Münsteraner Verfahren begann am 18. Januar 1990. Daß sich der Prozeß danach immer mehr ausweitete, hängt damit zusammen, daß nach der Unabhängigkeit Lettlands plötzlich KGB-Archive und selbst ehemalige KGB-Mitarbeiter als Zeugen zur Verfügung standen.

Die eigentliche Verantwortung für den späten Prozeßbeginn liegt in Bonn. Maikovskis war nach Kriegsende aus Lettland zunächst in die Bundesrepublik geflohen und 1951 in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Nach jahrelangem Hin und Her über ein sowjetisches Auslieferungsbegehren verfügte das amerikanische Justizministerium 1987 seine Abschiebung in die Sowjetunion. Der Abschiebung entzog sich Maikovskis durch Flucht nach Deutschland – ausgestattet mit einem Visum des deutschen Generalkonsulats. Ein Jahr lang lebte der Angeklagte danach unbehelligt in Münster. Erst als der Amerikaner Elliot Wells ihn aufspürte, erfolgte die Verhaftung. Hätte die Bonner Regierung rechtzeitig eine Auslieferung nach Deutschland durchgesetzt, das Urteil wäre längst gesprochen. J.S.