Bremer VS-Mann spielte in Zürich Ganoven-Chef

■ Verfassungsschützer H. 1992 als Kopf einer Erpresser-Gang in Zürich verhaftet - und in Bremen weiter im Dienst

Darf ein Mann in den Diensten des bremischen Verfassungsschutzes (VS) arbeiten, der einschlägig wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung, mehrfacher Nötigung und Diebstahls zu 18 Monaten verurteilt ist? Diese Frage versucht die bremische Verwaltung in einem Disziplinarverfahren seit einigen Wochen zu klären. Aufgefallen sein muß es der Behörde eigentlich schon September 1992, als der VS-Beamte H. von einer kurzen Reise in die Schweiz nicht zurücckam. Er war dort auf frischer Tat ertappt und gleich für vier Wochen hinter Gittern gehalten worden.

Der betroffene Mann gilt unter Kollegen als „armes Schwein“. 1981 hatte es ihn zu ersten Mal erwischt. Er war damals die Nummer „010-1“ in der ersten Observationstruppe des Bremer Verfassungsschutzes. Ihr Auftrag in jenem Jahr: Eine Wohngemeinschaft in der Graudenzer Straße (Neustadt) für die Akten aufbereiten. Die Verfassungschützer mieteten schräg gegenüber in der oberen Etage eines Bremer Hauses eine Wohnung an und horchten und guckten, was das Zeug hält: Wer da zu Besuch kommt, wie lange der Besuch bleibt, was für Kleidung die WG und ihre Freunde trug und so weiter. Leider ist bisher die Akte, die so zustande kam, nicht veröffentlich worden. In irgendeinem Straf- oder anderen Verfahren jedenfalls sind irgendwelche Erkenntnisse der Verfassungsschutz-Observation nicht verwendet worden. Daß die WG etwas Verbotenes gemacht hat, wurde auch später nie behauptet. Über Lebensweisen politisch einschlägig engagierter Wohngemeinschaften ließe sich aus der Akte aber sicher was machen.

Damals ging die Sache für den Verfasssungsschutz nicht gut aus. Schon beim Einzug waren die vielen Alu-Kisten aufgefallen, danach die großen Objektive hinter der Gardine. In der Nacht zum 1. Juli 1981 stürmten fünf aufrechte Bremer die Observations-Wohnung und erwischten zwei BeamtInnen in flagranti. Die beiden flüchteten, ließen aber ihre Ausrüstung und auch ihre Notizbücher zurück. Daraus ging einiges über die Arbeitsweise des VS hervor, für die beiden VS-Trupps war aber eine andere Sache ärgerlich: In den Notizbüchern waren die beiden Observationstrupps mit Namen und Telefonnummer aufgelistet. Sie waren mit der Veröffentlichung „verbrannt“ - für unseren VS-Mann H. („010-1“) bedeutete das die Zurückversetzung in die Schreibstube.

Einige Jahre später wollte H. offenbar noch einmal unter Beweis stellen, was ein richtiger Schlapphut alles kann. Ihn scheint viel Geld gedrückt zu haben, das er nicht unter den Augen des deutschen Fiskus anlegen wollte. Und ganz privat, so hat die Züricher Staatsanwältin später ermittelt, hatte sich der Bremer VS-Mann sein Beamtengehalt seit 1988 auch durch „Anlageberatungen“ im Bekanntenkreis aufgebessert - auch dies offenbar lieber außerhalb des Zugriffs der deutschen Steuer. Es handelte sich insgesamt um eine Summe von 6,3 Millionen, die ein Vermittler und Geldbote namens Pook mitnahm mit der Erklärung, er werde sie zu königlichen Zinssätzen bei liechtensteinischen Geldinstituten mit königlich klingenden Namen anlegen.

Es kam, wie es manchmal kommen muß: Seit 1991 floß kein Geld mehr zurück, irgendwann war auch bei Pook „kein Anschluß unter dieser Nummer“.

Unser Verfaasungsschutz-Mann H. wußte aber, was in so einem Fall zu tun ist: Er beauftragte die Detektei Hoppe, den Verbindungsmann Pook ausfindig zu machen und zu observieren. Als man eine Züricher Adresse hatte, trafen sich einige der Hobby-Anleger im Frühjahr 1992 bei dem Bremer Anwalt Hahn am Domshof, um sich zu beraten, wie sie ihr Geld zurückbekommen können. H. sei dabei als Wortführer aufgetreten, wußte die Staatsanwaltschaft zu berichten, da er immer am besten über den Stand der Dinge informiert war und da die Kumpanen davon ausgingen, daß er aufgrund seines sicheren Auftretens und seiner langjährigen Tätigkeit beim Verfasssungsschutz am besten wisse, wie man den Vermittler Pook dazu bringen könnte, die Zahlungen zu leisten.

Zweimal fuhr der VS-Mann mit seinen Freunden vergeblich nach Zürich, erst bei der dritten Fahrt am 20. September 1992 und nach einer im Auto vor der ermittelten Adresse verbrachten Nacht bekamen sie den Pook in seinem Porsche zu Gesicht. Als er aussteigen wollte, kam es zu einem körperlichen Gerangel - der Anlage-Vermittler Pook sagte später aus, man habe ihn in ein Mietauto stoßen wollen. Er hatte sich - erfolgreich - dagegen wehren können, ließ sich dann aber freiwillig-unfreiwillig in sein Büro begleiten. Offenbar spielte Pook zunächst mit, um zu vermeiden, daß die Polizei eingeschaltet wird.

In seinem Büro aber war das Spiel schnell zu Ende. Der Bremer VS-Mann H. eröffnete Pook, er werde ihm die Zähne einschlagen und Leber und Niere so traktieren, daß er das Büro nicht lebend verlassen könne, wenn nicht die 6,3 Millionen auf den Tisch kämen. Der Verfassungsschützer hatte einen Gumminknüppel mitgebracht und fuchtelte damit wild drohend in der Luft herum. Nach der Zeugenaussage des „geschädigten“ Pook hat der Bremer Verfassungsschützer dabei auch über sein Dienstverständnis geplaudert: Er habe seit 20 Jahren Übung darin, Leute zu traktieren, und habe in solchen Angelegenheiten immer Wort gehalten, versicherte H.

Der Besuch aus Bremen blieb über Nacht in dem fremden Büro, und damit der Anlage-Vermittler Pook nicht fliehen konnte, während die Bremer ein Nickerchen machten, packte H. Handschellen aus, legte einen Tisch auf die Seite und fesselte Pook daran. Als Pook einwandte, er werde so wohl schlecht schlafen, soll H. ihm mit zwei Gummiknüppel-Schlägen und der Bemerkung geantwortet haben, das sei sowieso seine letzte Nacht.

Am nächsten Morgen klaute sich H. aus dem Portemonnaie des Pook 200 Franken, damit das Bremer Trio sich ein gutes Frühstück holen konnte. Sie hatten inzwischen die verlangte „Bankvollmacht“ in den Händen. Als die aber nicht zu Barem führte, schlugen die verärgerten Gläubiger wieder auf Pook ein und drohten ihm allerlei Lebensgefährliches an. Da klingelte die Sekretariatsangestellte an der Tür. Ihr konnte Pook zurufen, sie solle die Polizei alarmieren.

Offenbar hat das Ausbildungsprogramm des Verfassungsschutzes beim Thema „Flucht“ eine Lücke: Das Bremer Trio wurde verhaftet. Erst vier Wochen später ließ man den Bremer Verfassungsschützer frei - die Staatsanwaltschaft hatte festgestellt, daß es sich bei ihnen um „durchschnittliche, normale deutsche Staatsbürger in geordneten Familienverhältnissen“ handelte. Das fanden die bremischen Vorgesetzten des VS-Mannes H. offenbar auch und so darf er bis heute seinem deutschen Staat wie jeder andere durchschnittliche und normale Beamte treu dienen.

In Zürich allerdings stand H. acht Monate später mit seinen zwei Kumpels vor dem Bezirksgericht und wurde nach kruzem Prozeß Anfang Juli 1993 als eine Art Rädelsführer zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.

In Bremen passierte dennoch erst einmal nichts - bis am 8.12.93 die taz erstmals über den Fall berichtete. Noch im Dezember 1993 leitete der Innensenator dann ein förmliches Disziplinarverfahren ein.K.W.