Lächelnd auf Konfliktkurs

■ Gesichter der Großstadt: Der abgewählte Fachhochschulrektor Reinhart Wolff ist seit der Debatte über den "Mißbrauch des Mißbrauchs" der Buhmann der Frauenbewegung

Der Buhmann der Berliner Frauengruppen ist ein sanfter Mann in Cordhosen, der sich seinen Kaffee selber kocht, statt ihn der Sekretärin in Auftrag zu geben. Aber in einigen Punkten kann er sehr hartnäckig sein. Sein Engagement in der Debatte um den sexuellen Mißbrauch hat Reinhart Wolff, seit vier Jahren Rektor der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Schöneberg, bei vielen Studentinnen unbeliebt gemacht.

„Das ist eine neue Unduldsamkeit von Gruppen, die nicht links, sondern bloß moralistisch sind“, tut der 54jährige Wolff die Kritik an seiner Person ab. Die Aufdeckungs- und Behandlungspraxis einschlägiger Projekte wie der Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen Mißbrauch „Wildwasser“ lehnt er unter anderem wegen ihres „autoritären und manipulativen Charakters“ ab: „Statt Gesprächen mit den Betroffenen stehen drakonische Maßnahmen wie Anzeigen und das Herausnehmen des Kindes aus der Familie im Vordergrund. Soziale Hilfen können aber nur funktionieren, wenn sie die repressive Orientierung auf Strafen hin überwinden.“ Wolffs zwanzigjährige Erfahrung als Familientherapeut und als Mitarbeiter des Kinderschutzzentrums Berlin – das er 1975 mitbegründet hat – haben ihn überzeugt, daß „autoritäre Vorschriften, wie die Eltern sich verhalten sollen, letztlich sinnlos sind“.

Seine Abscheu vor autoritären Haltungen rührt noch aus den 60er Jahren her, als Wolff sich in der Studentenbewegung engagierte. 1964 kam Wolff nach fünf Studienjahren in Marburg, Bonn, London und Paris nach Berlin, um hier sein Studium der Anglistik, Romanistik und Pädagogik zu beenden. Er zog in eine der ersten Wohngemeinschaften ein, schickte seine beiden Söhne in einen der neu gegründeten antiautoritären Kinderläden und war im SDS aktiv, dem sein Bruder K.D. Wolff vorstand. Manche Aspekte der Studentenbewegung sieht er heute kritisch, vor allem die Haltung zur Gewalt. Trotzdem wird er auch heute noch enthusiastisch, wenn er sich an diese Zeit erinnert: „Vieles, was wir damals ins Rollen gebracht haben, hat Deutschland verändert.“

Heute ist Wolff betont pragmatisch, ob es nun Kürzungen des Fachhochschuletats zu verhindern oder den Nutzen sozialer Dienste einzuschätzen gilt. „Wir haben so viele soziale Dienste wie Las Vegas Glücksspielautomaten, aber bei vielen muß man sich doch fragen, ob sie ihr Geld wert sind.“ Nötig sei eine regelmäßige kritische Auswertung der Effektivität sozialer Dienste: „Schließlich gibt es in jeder Fabrik Kontrollen.“

Wie sachlich und emotionslos der Soziologe über das Problem sexuellen Mißbrauchs redet, schockiert auf den ersten Blick. Aber seiner Meinung nach muß man zunächst „die ohnmächtige und archaische Wut, die die sexuelle Mißhandlung eines Kindes auslöst, verstehen und kontrollieren, um das Kind schützen zu können“. Viele „Fälle“ sind für Wolff – in Anlehnung an die umstrittenen Thesen Katharina Rutschkys – bloße Konstruktionen ohne Wahrheitsgehalt, Metaphern für unbewältigte Konflikte zwischen Paaren oder zwischen Eltern und Kindern. Andere Fälle, die „mit viel Geschrei“ aufgedeckt würden, beträfen häufig vergleichsweise ungefährliche Vorformen der sexuellen Mißhandlung wie Exhibitionismus oder sex talk. Daß er das Problem verharmlosen würde, weist er weit von sich: „Ich habe niemals behauptet, daß es keinen sexuellen Mißbrauch gäbe.“

Seit seinen Seminaren „Gewalt gegen Kinder“ und „Gewalt in der Familie“, die er 1972 als Assistenzprofessor am Soziologischen Institut der FU abhielt (die Teilnehmer gründeten im Anschluß daran zahlreiche soziale Einrichtungen, unter anderem das erste Frauenhaus Berlins), forscht Wolff schwerpunktmäßig über Kindesmißhandlung. Daß gerade das Problem des sexuellen Mißbrauchs in den letzten Jahren so sehr in den Vordergrund getreten sei, hängt für ihn mit einer allgemeinen Tendenz zur Abwertung der Sexualität zusammen. Bei der Erinnerung an die feministischen Angriffe stellt sich heraus, daß der sanfte Mann doch nicht so lammfromm ist: „Diese Leute sind wildgewordene Kleinbürger, die sich über sexuelle Freiheiten empören.“ Miriam Hoffmeyer

Siehe auch Bericht Seite 22