piwik no script img

Heiße Würstchen für die Stasi

■ Eher kafkaesk: „Abschied von Agnes“ (Wettbewerb)

Klarer Fall von falschem Alarm. Das qua Programmheft in Umlauf gesetzte Gerücht, bei Michael Gwisdeks außer Konkurrenz laufendem Wettbewerbsbeitrag handle es sich um einen „Psychokrimi“, der die „Spätfolgen der Stasi-Zeit“ behandelt, wollte am Ende nicht einmal der Regisseur bestätigen. Auch naheliegende Vergleiche mit Lienhard Wawrzyns Spitzelstück „Der Blaue“ wog er in der anschließendenen Pressekonferenz mit leichter Hand, um sie als allzu deutsch-deutsch zu befinden. Geben ihm die Produktionsbedingungen nicht recht? „Abschied von Agnes“ wurde, nachdem der ursprüngliche Regisseur Uli Weiß kurz vor Drehbeginn erkrankt war, mit kleinem Budget und unter Zeitdruck frei um das Thema herumimprovisiert.

Ganz uninteressant ist ein kurzer Approach-Vergleich trotzdem nicht. Während Wawrzyn nämlich (wie schon im Vorjahr Thomas Mitscherlichs „Die Denunziantin“) astrein durchkonstruiertes, fernsehtaugliches Bewältigungskino liefert, in dem kein einziges freilaufendes Bild gesehen ward, läßt Gwisdek — schon um den Film über die Runden zu bringen — die Assoziationen ganz schön flottieren. Bei Wawrzyn drängt sich ständig ein leicht kohlhaasisch vorgetragener Rechthaberanspruch nach vorne, bei Gwisdek dagegen verrätselt sich alles zum „kafkaesken Szenario“ (Ankündigung). Wo der West-Regisseur im Gewand hübscher Unterhaltung tüchtig den Zeigefinger erhebt, wirft der Ostler einen schweren Brocken in die Runde, um es nachher ganz anders gemeint zu haben.

Bloß wie? Das „kafkaeske Szenario“ eröffnet ein Aufstehritual. Ein unrasierter älterer Mensch (von Gwisdek selber gegeben) versucht, Spiegeleier zu braten und stellt sich dabei lustig blöd an. Der Tee wird aus alten Beuteln nochmal aufgebrüht. Dann diktiert der Mann Sätze auf Tonband. Offenbar ist er Schriftsteller. Es sieht aus wie in Biermanns Wohnung in der Chausseestraße (die jeder von Plattencovern kennt), bloß irgendwie heruntergekommener. Es läuft snorkelalter Bluesrock. Eines zumindest kapiert man: Das muß im Osten sein.

Plötzlich klingelt es, und Christoph Schlingensief steht vor der Tür. Man zuckt leicht zusammen, da behauptet er auch schon, sichtlich aufgeregt, schon wieder bei einem Film dabei zu sein, im Auftrag der Öffentlichkeit einen Stasi- Mann zu jagen. Der Stasi-Typ ist auch tatsächlich in der Wohnung, läuft immerzu in Unterhemden herum und sieht aus wie der späte Blixa Bargeld. Schlingensief darf aber nicht rein, weil der unrasierte Schriftsteller, der sich später als „Heiner“ vorstellt, auf drollige Weise abwinkt.

Jetzt wird's erst richtig kafkaesk. Heiner, der seine Frau Agnes auf undurchsichtige Weise verloren hat, beginnt nämlich, Würste für den Stasi-Mann heißzumachen. In Alt-Ostberliner Läden kauft er ihm Beaujolais für 28 Mark 90, erntet dafür aber nur Schläge und krude Retourkutschen. Sehr duldsam, der Mensch. Man erfährt, daß Heiner ein sexuell unterdrückter Typ ist, ideales Objekt für geheimdienstlichen Zugriff. Bloß einmal sieht es so aus, als würde er den Stasi-Mann unter der Dusche ermorden wollen.

Wer jetzt für einen Moment zur sozialpsychologischen Sicht neigt (Opfer zahlt heim), wird gleich wieder in die Wüste geschickt: Es ist nur ein harmloses Zitat aus Hitchcocks „Psycho“. „Abschied von Agnes“ kommt als blödsinniger kleiner Film daher, und ist trotzdem viel interessanter als „Der Blaue“ — wenn auch wohl gegen die Intentionen seiner Macher. Er zeigt nämlich das Vorbewußte einer Gruppe. Wie in einem Tagtraum wird ausagiert, was einem Ost-Team unter Anleitung von Spieler-Trainer Gwisdek so einfällt, wenn nach der Devise „Drehen ist besser als Nichtdrehen“ auf Teufel-komm-raus ein Film draus werden soll: viel Unrasiertes, abgeschabte Interieurs, Therese-Giehse-Figuren im Tante-Emma-Laden, seltsam Gelauntes in der Bierschwemme, lustig verschlüsselte Dialoge, Ost-Kryptik im Leerlauf, auf keinen Fall aber irgendwas Vernünftiges zu „Stasi“. Thomas Groß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen