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■ Die Evolution im ComputerDer Handelsvertreter und seine Reiseroute

Männlichen Informatikern wird nachgesagt, sie wollten ihre biologischen Defizite auf dem Gebiet der Reproduktion durch die Schaffung der künstlichen Intelligenz kompensieren. Doch während sich die Kritiker argwöhnisch der vermeintlichen Erfolge dieser Mini-Frankensteins annahmen, entstanden, von der Weltöffentlichkeit natürlich mal wieder unbemerkt, die „Evolutionären Strategien“. Anstatt lediglich künstliche Gehirne im Computer zu programmieren, haben die evolutionären Strategen die Konzepte des guten alten Charles Darwin übernommen und simulieren gleich die gesamte Evolution. Und während Genforscher noch immer damit beschäftigt sind, die Rätsel menschlicher und tierischer Gene zu entschlüsseln, existieren in den Computern der evolutionären Strategen bereits Chromosomen, die in den Computern eigenen Zeitspannen von Millionstelsekunden mutiert, rekombiniert, reproduziert und selektiert werden.

Die Programme, die Natur spielen, heißen „Genetische Algorithmen“ oder „Evolutionäre Algorithmen“. Das mühsame Geschäft der Natur, aus den genetischen Bauplänen immer erst fertige Lebewesen zu schaffen, die dann in ihrer Lebensumgebung auf Herz und Nieren geprüft werden, umgehen diese Computerforscher: Sie bewerten direkt das durch Mutation, Rekombination und Reproduktion entstandene neue Chromosom, möglichst mit einer Zielfunktion, denn der Informatiker mag es funktional. Kurzerhand werden die Chromosomen-Nachkommen in drei Klassen eingeteilt. Das „gute Kind“, das besser als die Eltern die Zielfunktion erfüllt, das „schlechte Kind“, das immerhin noch besser als ein Elternteil ist, und das „häßliche Kind“, das an beide Elternteile nicht heranreicht.

Und schwuppdiwupp werden die „häßlichen Kinder“ eliminiert, während die „guten Kinder“ sogleich geklont werden, um auch hier der Natur einen Zeitvorsprung abzuringen. Die Anzahl der Klone wird, wie zu erwarten war, von der Zielfunktion bestimmt. Die „schlechten Kinder“ bekommen immerhin eine „reelle Chance“. Das Ganze nennt sich „survival of the fittest“ und braucht, im wahrsten Sinne naturgemäß, keine Ethik. Die Chromosomen sind ja nur elektrische Zustände im Computer, und das Abschalten solcher Geräte gilt gemeinhin nicht als verwerflich. Auch unter den Eltern-Chromosomen kann es nicht zum Streit kommen, wer denn nun mehr zur Geburt des Nachfahren beigetragen hat, denn zum einen können elektrische Impulse nicht streiten, und zum anderen ist der Anteil beider an den Nachfahren absolut gleichwertig: Sie werden nämlich beide an der gleichen Stelle „durchgeschnitten“ und überkreuz wieder „zusammengeklebt“ – das nennt sich dann übrigens „Rekombination“. Auf die Mutation haben die Eltern keinen Einfluß – hierfür gibt es eine „Zufallsfunktion“.

Die Einsatzgebiete Evolutionärer Strategien sind erheblich vielfältiger als die der Natur, denn insbesondere unbelebte Gegenstände, denen die Fortpflanzung bisher versagt blieb, bekommen im Computer neue Chancen. Während in Deutschland noch so mancher Forscher versucht, Fenster und Treppen zur Fortpflanzung zu animieren, hat Mary Lou Maher von der Universität in Sydney bereits eine Schule und ein Fitneßcenter vereint. Die beiden haben dann bereits in der vierten Generation ein ganz brauchbares Hotel zur Welt gebracht. Eigentlich ja nur die Chromosomen für ein Hotel und, um ehrlich zu sein, nur die Chromosomen, die festlegen, welche Zimmer mit welchen benachbart sind, aber immerhin.

Auch abstrakte Dinge wie zum Beispiel Reiserouten können sich jetzt durch Fortpflanzung verbessern: Vertretern, die bislang mühsam versucht haben, die Kundenbesuche in die Reihenfolge zu bringen, die die kürzeste Wegstrecke ergibt, kann mit Evolutionären Strategien geholfen werden. An der Dortmunder Universität bearbeiten Informatiker das sogenannte Travelling Salesman Problem (TSP), das im Sprachgebrauch der Informatiker immerhin als „nicht berechenbar“ gilt. Am Lehrstuhl von Professor Schwefel, dem Mitbegründer der Evolutionären Algorithmen, hat man Reiserouten für bis zu 200 Kundenbesuche hintereinander optimiert. Solch einem armen Vertreter, der zwischendurch nicht nach Hause darf, sollte man wirklich die kürzeste Route gönnen.

Ob aber der Streckenvorschlag, den das Programm liefert, wirklich der günstigste ist, wird auch von den Erfindern der Evolutionären Strategien angezweifelt, denn der Preis für die Bearbeitung komplexer Aufgaben ist, daß die Lösungen meistens nur „annähernd optimal“ sind. Doch damit in Zukunft noch so manche Paarung sattfindet, trägt auch das Bundesforschungsministerium sein Scherflein bei – zehn Millionen Mark sollen über die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) ausgeschüttet werden – vielleicht bringt da schon bald ein Geldschein, gepaart mit einem Professor, ein neues kleines Raumschiff zur Welt. Guardian Ketteler

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