Sanssouci: Vorschlag
■ Arnulf Rating im Mehringhof Theater
Der Mann hat es eilig. Die Haare flattern, die Hand zuckt nervös am automatischen Bildwechsler herum. Schließlich ist es keine geringe Aufgabe, in zwei Stunden sämtliche Probleme der Vergangenheit und Gegenwart abzuhandeln – und gleichzeitig noch Dias vorzuführen. Dias von vollschlanken, tierlieben, in sich ruhenden, „lieben und schönen“ Deutschen. Der Mann hat nämlich eine Mission. Das Goethe-Institut muß mit Bildmaterial versehen werden, damit das Deutschlandbild im Ausland wieder heller wird. Aber der Weg zum Goethe-Institut ist weit. Er führt unter anderem durch Bosnien, die Bettlerspaliere an der U- Bahn, Bad Kleinen, Somalia – und den eigenen Hinterhof.
Der Mann hat sich zuviel vorgenommen. In seinem ersten Soloprogramm „Perlen der Heimat“ läßt der ehemalige „Tornado“ Arnulf Rating kein heißes oder auch nur lauwarmes Eisen aus. Wie es um Deutschland steht, sieht sein Alter ego, der Zahntechniker Ewald Schroeder, „schon an den ganzen zerknirschten Gebissen, die ich täglich auf den Tisch bekomme“. Und um Lösungen ist der smarte Schroeder nicht verlegen. Schon durch ein paar winzige Änderungen an der Fernbedienung ließe sich einiges regeln, meint er – etwa durch eine „Eingreiftaste“, die, wenn sich die Schreckensbilder aus einem Krisengebiet häufen, „automatisch live eine Rakete da runter schickt, die Wunschrakete der Woche sozusagen“. Gleich daneben gehört dann die automatische Rücktrittstaste: „Dann überlegt sich jeder Politiker zehnmal, ob er seine Visage ins Fernsehen halten will. Und ich hab jeden Tag goldenes Superwahljahr!“
Kurz vor der Pause entpuppt sich der Weltverbesserer als Mann mit Familie. Die Frau nölende Altlinke, Sohn Skin, Onkel Walter Mitglied der Waffen-SS und Vetter Rüdiger Ex- DDR- Grenzer – die Familienfeier ist nur mit viel Schinkenhäger zu ertragen. Wie Rating von einer Rolle in die andere springt, ist sehenswert, was er da verkörpert, hat man aber schon zu oft gesehen. Einzeln sind viele „Perlen der Heimat“ schätzbar, zur Kette wollen sie sich nicht schließen. Die schönste Perle des Programms ist allerdings selbst eine Kette, nämlich eine elektrische Lichterkette mit einer Brenndauer von exakt 1 Weizsäcker. Diese Einheit entspricht dem Zeitraum, in dem man sagen kann: „Die Zeit zwischen 1933 und 1945 ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte, das sich nie wiederholen darf.“ Miriam Hoffmeyer
Ab morgen bis 6. März, jeweils mittwochs bis sonntags 21.00 Uhr im Mehringhof Theater, Kreuzberg, Tel. 691 50 99
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