Biblische Körper

Isaac Juliens „Darker Side of Black“  ■ Von Harald Fricke

Vieles ist Strategie, auch die Reihenfolge der Interviews in Isaac Juliens Dokumentation über Schwulenfeindlichkeit von US- Hip-Hop und jamaikanischem Raggamuffin. Gleich zu Beginn kommt Michael Manly, der frühere — weiße — Premier Jamaikas zu Wort, dann erst erscheinen Shabba Ranks und Ice Cube auf der Bildfläche. „Darker Side of Black“ sucht nicht den direkten Weg into the heart of darkness, der Film umkreist sein Thema.

Unausbalanciert bleibt der Lower-Class-Alltag in Kingston/Jamaica neben historisch sich gerierenden Erklärungsmodellen der Sklaverei bestehen, für die kein Kolonialherr und kein Priester die Verantwortung oder gar Schuld auf sich nehmen wollen. Aufgrund dieser Verdrängung fällt die unbewältigte Geschichte sowohl bei Afro-Amerikanern als auch -Jamaikanern auf den eigenen Körper zurück. Wie Ice Cube sagt: „Gut, wir tragen in unseren Vierteln drive- by-shootings aus, aber das ist nichts anderes als amerikanische Politik im Kleinen, wenn du es mit den Scud-Raketen vergleichst, die auf Kuwait niedergegangen sind.“

Auf Jamaika gehen Musikkultur und Kollektivfrust ebenso fließend ineinander über, wird die Gewalt der Lyrics auf Dancehall-Parties mit einem hohen Aufwand an Technik den einzelnen Tänzern auf den Leib geschrieben, so daß sich sex- und gun-culture vermischen: „Die vor elf Jahren noch geltenden Utopien Bob Marleys sind mit Shabba Ranks abgeschafft worden.“ Hier nun tritt Buju Banton auf den Plan: Sein „Boom Bye Bye (Batty Boy)“ fordert dazu auf, Homosexuelle notfalls mit Waffengewalt zu vernichten.

Isaac Julien geht dieser Homophobie nach, indem er zunächst einmal alle Parteien ausreden läßt, seinen Favoriten unauffällig einen schönen blauen Hintergrund ins Studio setzt und ansonsten sehr verständig gegenschneidet. Shabba Ranks beruft sich in seiner Abneigung gegen gleichgeschlechtliche Liebe auf die Bibel, Buju Banton erklärt, er sei nur den Worten seines Vaters gefolgt, und ein schwuler schwarzer Prediger erklärt dies alles für bullshit. Der Streit wird ausgeweitet: Eine Afro- Feministin gibt zu bedenken, daß Raggamuffin immerhin lesbischen Frauen ein sexuelles Coming-Out auf der Tanzfläche ermöglicht.

Zwei andere Mädchen dagegen haben es satt, als bitches bezeichnet zu werden, „so würden Rapper schließlich auch nicht von ihren Müttern reden“. Brand Nubians fordern eine Rückkehr zum bibelfesten Leben, lehnen Homosexualität ab und weisen der Frau ihren Stammesplatz in der Kochnische zu. Zwischen Analyse und Banalisierung behalten einzig der Kulturtheoretiker Cornel West und Michael Franti von den Disposable Heroes of Hiphoprisy einen klaren Kopf: „Es ist zuerst die Sprache und nicht die Gesellschaft, die Minderheiten zu Objekten macht“, sagt Franti, und West fügt hinzu, daß die Angst der Schwarzen groß ist, den Eigensinn ihrer in patriarchalen Familienstrukturen festgeschriebenen Geschichte an Randgruppen zu verlieren: „Darin aber unterscheidet sich die Logik der black community nicht von weißen Herrschaftsbildern.“

Isaac Julien: Darker Side of Black, GB 1993, 55 Minuten (Forum)