„Ja, es ist gut, sich zu entscheiden“

■ Gespräch mit Sabine Azéma über ihre Rolle in „Smoking“ & „No Smoking“

taz: Ihre Rolle ist wie ein männliches Phantasma: die Frau, die alle weiblichen Facetten zugleich verkörpert.

Sabine Azéma: Mich amüsiert am Kino, daß ich mit den Frauenrollen immer wieder auf mich selbst zurückgestoßen werde, statt wie andere behaupten, ich sei Schauspielerin, um in andere Figuren zu fliehen! Im Leben bin ich ziemlich scheu und vertraue mich niemandem leicht an. Aber die Kamera ist für mich wie eine Freundin, der ich vertrauen kann. Die Rollen sind Teil meines Lebens. Ich verstecke mich nicht, ich stelle mich aus.

Wenn ich andere Frauen spiele, falle ich auf mich selbst zurück, finde mich, und wenn ich dann die Figur wieder ausdrücke, habe ich das Gefühl, das Feld anderer Frauen zu betreten, die Grunde genauso sind wie ich. Natürlich gibt es verschiedene Farben, und in „Smoking & No Smoking“ identifiziere ich mal stärker, mal schwächer. Aber meinen Beruf liebe ich, weil ich mich in dem entdecken kann, was andere Frauen sind!

Sie verführen den Zuschauer aber nicht nur mit einem raffinierteren Kleid.

Aber es beginnt immer mit der äußeren Erscheinung. Die Kleidung ist ein Zeichen und kann gleichzeitig eine riesige Täuschung sein. C'est fou!

Wie anders fühlen Sie sich in den kurzen Jeans des Hausmädchens und in dem flammend roten Kostüm Rowenas?

Das verändert mich von innen heraus. Ich strecke plötzlich den Hals, hebe das Kinn, wenn ich auf hohen Absätzen gehe und bin zu aller Welt frech und etwas herrisch. Wenn ich dagegen schwere Quadratlatschen trage, kann ich, ohne mir weh zu tun, auf den Boden stampfen und einfach brutaler sein. Die Kostüme geben mir das Gefühl, eine ganz andere zu sein. Diese Verwandlungskunst kenne alle Frauen. Und so spielen wir mit den Phantasmen der Männer. Es gibt Männer, die wir mit Sportschuhen verführen können und nicht unbedingt mit hochhackigen Schuhen und Dessous...

Es gibt einen schönen Roman von Aldous Huxley („Les deux ou trois grÛces“), in dem ein Mädchen ihre Persönlichkeit je nach ihrem aktuellen Liebhaber völlig verändert. Ich denke – und das ist eine große Diskussion unter meinen Freunden –, daß wir Frauen den Männern wie Chamäleons erscheinen; ich spreche nicht nur von der Art, sich zu kleiden und zu gehen. Eine Frau ist zu allem fähig. Ich könnte meinen Beruf morgen für einen Mann aufgeben, auch wenn ich es mir und ihm vielleicht später vorwerfen würde. Eine Frau ist zu allem bereit, um einen Mann zu verführen. Die Fragilität ist ihre Stärke.

Gibt Ihnen Resnais von Film zu Film mehr Freiheiten?

Im Gegensatz zu anderen Regisseuren liebt er alles an mir und weiß genau, auch meine Schwächen und Fehler einzubauen. Durch ihn erweitere sich meine eigene Persönlichkeit und ich kann sie wieder in die Rolle einfließen lassen. Resnais zwingt mir seine nie Sicht auf. Genauso wie ich bewundert er die musikalischen Komödien und ihre naive Fröhlichkeit, das „Amerikanische“. Bei Resnais muß man keine Angst vor dem Lächerlichen haben. Ohne ihn würde ich vieles nicht wagen und wahrscheinlich nie richtig lustig sein.

Ist das eine Liebeserklärung?

(lacht) Natürlich!

Sie haben schon oft mit Pierre Arditi zusammengespielt, aber es wirkt immer wie das erste Mal.

Zu jedem Drehbeginn kommen wir verändert: ein anderer Blick, andere Gesten! Von Film zu Film kennen wir uns besser, und ein Erfolg wie „Smoking“ führt uns natürlich noch enger zusammen. Zwischen uns gibt es eine große Zuneigung, die sehr wichtig ist, weil die Kamera auch das filmt, was man nicht sagt, sondern ist. Unsere Freundschaft „entwischt“ uns auch auf die Leinwand; die Kamera ist unersättlich. Wir haben gemeinsame Gesten und Blicke, die wir nicht mehr kontrollieren, weil wir schon so ein altes „Paar“ sind! Das begeistert mich auch bei Woody Allen und Diane Keaton in deren letztem Film.

Wenn man schauspielt, darf man sich nie vom Partner auffressen lassen, denn Schauspieler sind wie in einen Käfig gesperrte Raubtiere. Meine Arbeit mit Pierre ist dementsprechend intensiv... (lacht)

Der Film ähnelt einem temporeichen Vaudeville, an dessen Ende wir vielleicht nur noch eine Person erkennen: „Sapierre Ardéma“, wie Libération Sie taufte.

Das ist sehr witzig, und selbst Resnais hatte ursprünglich eine ähnliche Idee, unsere Namen im Vorspann zu verschmelzen. Das „Spektakel“ ist für mich immer ein Spiel, wo die Zuschauer – wie in der Music Hall „mitsingen“ und mitgerissen werden. Es gibt auch viele traurige und pathetische Momente. Wenn man aus dem Film kommt, spürt man, daß die Entscheidung wichtig ist: Sagt man „ja“ oder „nein“, fühlt man sich frei, glaubt man es, weiß man es?

Sagt man im Leben nicht zu oft „vielleicht“?

(lange Pause) Ja, es ist gut, sich zu entscheiden und ein großes „Ja“ sagen zu können. Man kann sich auch die Illusion machen, das Boot selber zu steuern. Resnais' große Qualität ist, ja und nein sagen zu können. Interview: Marcus Rothe