Nachruf
: Ungebührliches Betragen

■ Der schwule Journalist Randy Shilts ist tot

Als Randy Shilts 1981 zum San Francisco Chronicle kam, war es das erste Mal, daß eine etablierte Tageszeitung einen offen schwulen Journalisten einstellte. Auch in der Stadt, die sich damals in der Eigenwerbung gerne mit dem Prädikat „Schwulenmekka“ schmückte, war dies vor über einem Jahrzehnt keine Selbstverständlichkeit.

Der Wechsel vom lokalen TV zum angesehenen Chronicle machte Shilts zur öffentlichen Figur. Und das journalistische Establishment rümpfte die Nase. 1982 erschien sein Buch „The Mayor of Castro Street“. Für die engagierte Schilderung des Werdegangs von Harvey Milk, dem ersten offen schwulen Stadtrat von San Francisco, der 1978 Opfer eines Mordanschlages wurde, erhielt der Autor Lob nicht nur aus den eigenen Reihen. Ebenfalls 1982 beauftragte der Chronicle Randy Shilts mit der Berichterstattung über eine rätselhafte Epidemie, die bereits zahlreiche Tote in der schwulen Gemeinde San Franciscos gefordert hatte. So wurde Randy Shilts der erste Journalist, der sich ausschließlich mit Aids beschäftigte. In seinem 1987 erschienenen Buch „And the Band Played On: People, Politics and the AIDS Epidemic“ prangerte er die Untätigkeit der amerikanischen Regierung und das Desinteresse des wissenschaftlichen Establishments an.

Doch er setzte sich auch kritisch mit dem schwulen Lebensstil der späten siebziger und frühen achtziger Jahre auseinander. Dafür erhielt der Chronist der Aids-Krise auch Applaus von der falschen Seite. Rechte Politiker und TV-Evangelisten benutzten die Schilderungen vom ungeschützten Sex in schwulen Saunen oder die Geschichte vom berüchtigten „Patienten Null“, der als Steward einer Fluggesellschaft Aids über die ganze Welt verbreitete, um ihre Forderungen nach Zwangsmaßnahmen zu unterstreichen. Jahre später beklagte Shilts die Kritik aus den eigenen Reihen: „[...] die schwule Presse war wie verrückt hinter mir her. Die üblichen Vorwürfe, man sei ein schwuler Onkel Tom, man habe die Schwulenfeindlichkeit verinnerlicht.“ So liest sich der Titel seines letzten Buches „Conducting Unbecoming“ (deutsch: Ungebührliches Betragen) wie eine ironische Zusammenfassung der gegen ihn gerichteten Kritik. Thema des Buches ist die Hexenjagd auf schwule Angehörige der US-Streitkräfte, die in den letzten fünfzig Jahren regelmäßig wegen ungebührlichen Betragens gefeuert wurden.

Doch was für den Umgang mit seinem Schwulsein so selbstverständlich war, das versagte er sich hinsichtlich seines HIV-Status. Erst im letzten Jahr verkündete er in einer Pressekonferenz, seit 1987 infiziert zu sein. „Jeder schwule Autor, der ein positives Testergebnis erhält, endet als Aids-Aktivist, und ich wollte nicht als Aktivist enden“, begründete Shilts das lange Schweigen über seinen eigenen Zustand. Zweifel an seiner Objektivität hatte Shilts stets zurückgewiesen. Dies sei ebenso absurd wie die Behauptung, ein Schwarzer könne nicht vorurteilsfrei über Schwarze berichten. Die Befürchtung, seine Betroffenheit könne ihn als Chronisten der Aids-Krise disqualifizieren, war übermächtig.

„Ja“, gestand Shilts letztes Jahr einem Kollegen von der New York Times, „HIV ist charakterbildend. Doch ich hätte lieber ein paar T-Helferzellen mehr und statt dessen ein bißchen weniger Charakter.“ Klaus Lucas