Marcos Superstar: Erotisiertes Mexiko

Der „Subcomandante Marcos“ hat die Sympathien auch der städtischen Mittelschicht erobert / Als intellektueller Mestize verhandelt er mit dem nichtindianischen Mexiko  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Neue Helden braucht das Land: Zapata ist tot – es lebe Marcos. Oder auch: Marcos for president. Auch wenn der Maskierte aus dem Lacandonischen Regenwald sicher keinerlei präsidentiale Ambitionen hegt: Chancen hätte die neue Traumgestalt in der mexikanischen Politiklandschaft allemal. Vor allem die intellektualisierten StädterInnen erhitzen sich am Marcos-Fieber: „Subcomandante Marcos“, ein moderner mexikanischer Che, ein Intellektueller, der sein sprachliches Rüstzeug auf dem Weg in den Urwald nicht hinter sich gelassen hat, sondern es – und sich – in den Dienst seiner indianischen Comandantes stellt.

Er habe grüne Augen, spreche mindestens vier Fremdsprachen, sei 25 Jahre alt und kein gebürtiger Chiapaneke – so hatte Anfang Januar der erste Steckbrief gelautet. Wahr ist lediglich, daß Marcos – nach eigener Aussage – tatsächlich nicht in Chiapas geboren ist.

Einige Wochen später ist man dem wortgewandten Guerillero zwar ein wenig näher gekommen: Seine Augen seien hellbraun, sagt die Journalistin Blanche Petrich, die ihn für La Jornada interviewen konnte, und die fremdsprachliche Begabung bezieht sich hauptsächlich auf die vier wichtigsten Indianersprachen der Region. Ansonsten aber zieht es der Subcomandante vor, als Person weiterhin ein Rätsel zu bleiben.

Ob er generationsmäßig ein 68er sei? Er lacht: da sei er noch „sehr klein“ gewesen, er sei eher in den achtziger Jahren und beim „letzten großen Wahlbetrug 1988“ politisiert worden. Und eines Tages habe er sich eben entscheiden müssen, „entweder dieses materiell bequeme Leben weiterzuführen oder konsequent zu sein mit ganz bestimmten Ideen“. So gelangte der politisierte Intellektuelle in den Lacandonischen Regenwald, „das Schlimmste, was einem Mestizen passieren kann, schlimmer als das Fernsehprogramm ,24 Stunden‘“. Zunächst sei es um das „pure Überleben“ in den Bergen gegangen, dann sei er „nach und nach“ in der militärischen Hierarchie der Guerilla aufgestiegen – und hat es doch nur zum Subcomandante gebracht. „Zum Comandante fehlt mir die Geduld mit der Presse“, scherzt er kokett.

Perfekte Arbeitsteilung: Mit den Indianergemeinden treten immer nur die indianischen Comandantes in Kontakt, da die DorfbewohnerInnen ihn als Mestizen „unmöglich akzeptieren“ würden. Marcos dagegen kommuniziert mit der nichtindianischen Außenwelt.

So wird der Subcomandante in der mexikanischen Öffentlichkeit dann auch nicht so sehr als Militär- denn als Public-Relations-Stratege bewundert. Mit Dutzenden von Pressemitteilungen und offenen Briefen – an Bauern- und Indianerorganisationen, an StudentInnen und Schulklassen, an das mexikanische Volk oder die US-Regierung und nicht zuletzt an Regierungsunterhändler Manuel Camacho Solis und Bischof Samuel Ruiz, niemals jedoch an die „illegale“ Staatsführung – hatte es der Guerillasprecher in kurzer Zeit geschafft, landesweite Sympathien für die EZLN zu gewinnen.

Sogar Octavio Paz, dem zapatistischen Aufstand ganz und gar nicht wohlgesonnen, kann sich Marcos' Charme nicht gänzlich entziehen. Zumindest „bewegt“ habe den konservativen Schriftsteller der Brief des Subcomandante, als Reaktion auf die Amnestie-Offerte – el perdón – der Salinas-Regierung: „Warum sollten wir um Vergebung bitten? Daß wir nicht schweigen in unserem Elend? Daß wir nicht bescheiden diese gigantische historische Last von Verachtung und Verlassenheit akzeptieren?“ Es folgen 45 bittere Fragen; die letzte lautet: „Wer also muß um Vergebung bitten, und wer kann sie gewähren?“

Wider den revolutionären Ernst schließt Marcos seine Presse-Kommuniques stets mit neckischen Schlußbemerkungen über „das Flugzeug, das über uns kreist und dem immer noch nicht der Sprit ausgegangen ist“ und das man samt Piloten „gebraten“ zu verspeisen gedenkt, sollte es „irgendwann endlich vom Himmel fallen“. Angesichts der Fülle von erfrischenden und überaus lesbaren Texten übersieht die geneigte Leserin allerdings leicht die weniger verdaulichen Brocken im Marcos- Diskurs: Beim freien Assoziieren fällt dem EZLN-Sprecher zu „Liebe“ die „Vaterlandsliebe“ ein, die „Früchte des Sieges“ würden wohl „spätere Generationen ernten“ und momentan bedeute Sieg noch „Opfer bringen“. Befremdlich auch intellektuelle Einsprengsel: „Unser Tod – ich spreche jetzt für die Compañeros – existierte ja nicht; die Neopositivisten haben schon recht, daß die Dinge erst anfangen zu existieren, wenn sie benannt sind. Sterbend haben die Compañeros diesen Tod also benannt, weil sie ja sowieso gestorben wären.“

Marcos spricht nicht dieselbe Sprache wie die indianischen Comandantes Ramona, David, Felipe, Javier, Isaac und Moisés, die ebenfalls von der Jornada interviewt wurden. Zweifellos aber ist es genau diese wohlüberlegte Übersetzungsstrategie, die aus dem chiapanekischen Indianeraufstand im Medienzeitalter eine moderne Guerilla macht. Dank Marcos erscheint die EZLN nicht als amorphe bewaffnete Masse, nicht als anonyme Armen- und Hungerrevolte, sondern als die bewegendste politische Kraft auf der aktuellen mexikanischen Bühne.

Es gehe zwar nicht um die Machtübernahme, aber auch nicht nur um „regionale Konflikte“, wie es die Regierung gerne darstellen will. „Die Compañeros sagen ganz klar: Wir haben ein Konzept, aber wir werden es niemandem aufdrängen. Was wir wollen, ist ein demokratischer Raum, und wer darin die Leute überzeugt, gewinnt eben. Diesen Raum gibt es derzeit nicht – und er muß notwendigerweise national sein.“

Daß diese Hauptforderung nach Demokratie kein städtischer Import ist, zeigt die basisdemokratische Entscheidungsstruktur der Guerilla: Die Führung besteht aus gewählten Vertretern jeder Gemeinde, und alle entscheidenden Fragen werden unter ihnen abgestimmt. Und so wird auch jeder einzelne Punkt künftiger Verhandlungen demokratisch rückgekoppelt werden müssen: Schnelle und spektakuläre Ergebnisse sind vom Medienereignis „Verhandlungen“ also nicht zu erwarten. Über eine Verselbständigung ihres Sprechers scheinen sich die indianischen Führer keine Sorgen zu machen: „Er kann wenigstens richtig gut Spanisch – wir dagegen machen noch einen Haufen Fehler. Deshalb brauchen wir ihn, damit er alles mögliche für uns erledigt.“

Aber Marcos ist mehr. Er aktiviert auch die subversiven Phantasien einer ganzen Generation von Ex- oder MöchtegernrebellInnen – auch in erotischer Hinsicht. Kaum einer schreibt darüber so hemmungslos wie José Cueli, der in der Jornada sonst Stierkämpfe kommentiert: „Über den Urwald spannt sich die Maske der Sub- Marcos und unser langweiliges, monotones und pessimistisches Leben wird erweckt und öffnet sich für diese Sinnlichkeit des erhitzten Blutes, wütend und überschäumend ...“

Einer der wenigen, die nicht dem allgemeinen Marcos-Fieber erlegen sind, ist Magú, der Starkarikaturist der Jornada. Wochenlang hatte er Tag für Tag die vermeintlichen Starallüren und besonders die Skimütze des „Sub“ zeichnerisch aufs Korn genommen. Schließlich schlug der Guerillero zurück: eine „mentada de madre“ – eine Art „hammermäßigen“ Gruß – ließ er dem Zeichner beim Interview mit der Kollegin bestellen. Als daraufhin bei der Leserschaft Empörung ob des aggressiven Tonfalls anhob, ließ Marcos dem Karikaturisten eiligst eine selbstverfaßte kleine Zeichnung zukommen. In dem liebevollen Karikaturen-Imitat wird klargestellt, daß die „mentada“ nur aus Pfefferminz war; und Marcos bittet, diesmal auf eine Veröffentlichung zu verzichten, denn „ich habe das bittere Gefühl, daß alle Welt mittlerweile die Schnauze voll hat vom ,Sub‘“. Mehr als jede neorevolutionäre Rede sind es wohl diese kleinen Sätze, die den Zapata der 90er Jahre endgültig unwiderstehlich machen.