■ Bischof von Acerra als Beichtvater der Camorra-Gangster
: Singen ohne Risiko

Neapel (taz) – Bislang war Don Antonio Riboldi, Bischof von Acerra im Hinterland von Neapel, so etwas wie eine Dauernummer, wenn es um den Kampf gegen das organisierte Verbrechen, gegen Elend und Unterentwicklung des italienischen Südens ging. Aber auch wenn sich Aussteiger aus dem Terroristenmilieu mit der Gesellschaft versöhnen wollten. Beides war bei den Politikern, den Medien und auch in der Kirche selbst gerne gesehen – der Priester hatte in den sechziger Jahren in Sizilien Dienst getan und war danach zu einer Art Anlauf- und Klagestelle für alles soziale und persönliche Elend geworden. Ein Ventil also, das den Behörden viel Arbeit sparte und den Zeitungen immer wieder rührende Artikel bescherte.

Doch nun hat Don Riboldi in ein Wespennest gestochen, und seine bisherigen Bewunderer gehen auf Abstand: Mehrere hundert Männer aus dem harten Kern der gut 120 Camorra-Gangsterbanden Neapels haben sich ihm anvertraut und wollen sich von ihrem kriminellen Tun lossagen – unter Abgabe ihrer Waffen und dem Eingeständnis ihrer eigenen Taten. Bedingung allerdings: Sie möchten nicht jahrelang auf ihren Prozeß warten, sondern mit dem nach dem Prozeßrecht möglichen rito direttissimo abgeurteilt werden. Und sie möchten einen Status analog zu dem der Terrorismusaussteiger bekommen, die sich seinerzeit vom „bewaffneten Kampf“ losgesagt, jedoch nicht ihre ehemaligen Genossen belastet hatten. In einem solchen Falle gab es seinerzeit einen Strafnachlaß bis zu einem Drittel. Der Hintergrund für die Camorristen: Nur wenn die Nichtverwicklung ihrer ehemaligen Bandengenossen gewährleistet ist, haben sie Aussicht, der Rache ihrer früheren Bande zu entgehen.

Derlei Perspektiven haben nun ganze Ämter in helle Aufregung versetzt: Innenminister Mancino wand sich und erklärte, daß doch „ein großer Unterschied sei zwischen ideologischen Tätern, die sich von ihrem Glauben lossagen“, und „gewöhnlichen Kriminellen“. Als ob nicht alleine schon die Aussicht auf zumindest eine Einschränkung des Blutvergießens, das in Neapel und Umgebung an die 400 Tote jährlich hinterläßt, jeden Polizeiminister mit Euphorie erfüllen müßte. Justizminister Conso erklärte sich zwar mit einem möglichen beschleunigten Verfahren einverstanden, sah sich jedoch „derzeit für weitergehende Zugeständnisse außerstande“. Das erzbischöfliche Amt von Neapel sprach von einer „absolut persönlichen Initiative Don Riboldis“ und fürchtete eine „Politisierung der Problems“. Eifrige Journalisten errechneten, das eigentliche Problem bestehe darin, daß man gar nicht wisse, wohin mit den Killern und Knackis – die Gefängnisse Italiens sind derzeit mehr als überfüllt. Am meisten erstaunt die Zurückhaltung der Kirchenleitung. Sie rührt wohl daher, daß Beichtvater Riboldi populärer werden könnte als der ein oder andere Aspirant bei den bald anstehenden Neuernennungen von Erzbischöfen.

Don Riboldi jedenfalls sieht keinerlei Grund, den Camorristen zu mißtrauen: „Was soll man denn mehr wollen, als daß Gestrauchelte, auch wenn sie schlimmste Taten begangen haben, nicht nur vor der Kirche und im Beichtstuhl bereuen, sondern sich auch noch selbst bei Gericht anzeigen?“ Daß die Betreffenden nur über sich selbst aussagen, nicht aber Kumpane belasten wollen, hält er sogar für einen Vorteil: „Auf diese Weise wird der Verdacht vermieden, hier würden nur Scheinaussteiger auftreten, die in Wirklichkeit mit genau ausgeheckten Verdachtstreuungen laufende Untersuchungen behindern oder die Wahrheit vernebeln wollen.“ Ein Argument, das viel für sich hat. Werner Raith