■ Press-Schlag
: Rutschiges Eis

„Unser Team ist ein einheitliches. Die Aufteilung in West und Ost gibt es nicht mehr.“ Wenn 117 Einzelathletinnen und -athleten addiert werden, mag die Summe eine Mannschaft ergeben. Da wollen wir „Teamchef“ Walther Tröger in seiner Zwischenbilanz gar nicht widersprechen. Aber: Wenn man 117 durch elf teilt, kommt nicht nur eine ungerade Zahl heraus, sondern Einzelstarter, die in elf gänzlich unterschiedlichen Sportarten um ihren jeweils einzelnen Lorbeer kämpfen. So gewinnt jeder erstmal für sich – verlieren muß ohnehin jeder alleine –, nur nicht alle bekennen sich so offen zu ihrem Individualismus wie eine Katja Seizinger: „Es ist nicht so wichtig, daß die Leute hinter mir stehen. Das Schwerste sind meine eigenen Erwartungen.“

Trotz nach außen geeinigtem Team läßt sich bei genauerem Besehen ein Ost-West-Gefälle durchaus ausmachen. Selbst wenn man die Alpinen außer acht läßt, bei deren bayerisch- freistaatlicher Übermacht eher die erfolgreiche Akzeptanz von westlichen Westfalinnen (Katja Seizinger) und Rheinhessen (Tobias Barnerssoi) überrascht als das Fehlen fernöstlicher Teammitglieder, charakterisiert die meisten Einzelteams im Trögerschen Groß-Team stark einseitige regionale Herkunft. Rodeln: bis auf Georg Hackl alle Ost; Bob: nur Ost. Biathlon, Männer: Ostathleten, zum Teil zu Westvereinen gewechselt; Skiakrobaten: alle West, Eishockey: vorherrschend West. Im Eisschnellauf wiederum sind die Vorzeichen ebenso eindeutig wie im Ski alpin, nur umgekehrt – alle Ost.

Nichts gegen den angeblich anwesenden deutschen Teamgeist. Aber die Provenienz der Athletinnen und Athleten spricht für Strukturschwächen im deutschen Sport, deren Stärken zum Gutteil auf dem Nachlaß des DDR-Sportgebildes beruhen. Was man offiziell nicht gern ganz so laut sagt. „Pssst: DDR-Sport heißt Stasi, heißt Doping.“ Und davon hat sich der West-Funktionär hochoffiziell entrüstet distanziert. DDR- Sport heißt aber auch Effizienz und Leistungsstärke. Das wissen Tröger und der Leitende Direktor des Bundesausschusses Leistungssport, Peter Holz, ebenso: „Daß Lillehammer schon zwei Jahre nach Albertville kam, hat manches Leistungsloch noch nicht aufbrechen lassen.“ In Albertville wähnte sich der deutsche Sport im Olymp – dank der AthletInnen aus den „neuen Ländern“ führte das Land die Medaillen- Hitliste an.

In Albertville erliefen beispielsweise acht der 14 Eisschnelläuferinnen und -läufer elf der 30 zu vergebenden Medaillen. „Das wird in Norwegen nicht mehr passieren“, dämpfte Helmar Gröbel noch vor dem olympischen Startschuß die Hoffnungen. Der „Cheftrainer Eisschnellauf“ kalkulierte lediglich mit fünf Medaillen. Realistischerweise: Mehr als drei bronzene sind es (noch) nicht geworden. Dabei stellen die Deutschen mit 15 Startern das größte Aufgebot – größer als das der Eisschnellaufnationen Norwegen und Holland. Aber Helmar Gröbel hat bereits einen „Rückwärtstrend“ gegenüber der Medaillen-Sternstunde Albertville ausgemacht. Und das, obwohl, wie Verbandspräsident Gerd Zimmermann betont, „im Gegensatz zu anderen Sportarten Eisschnellauf weiter nach DDR-Vorbild gefördert worden ist“. Sportler, Trainer und Struktur, gesteht auch Gröbel, seien ganz die Alten. Nur eben die Erfolge nicht. „Drei große Athleten haben aufgehört – Jacqueline Börner, Christa Luding, Uwe-Jens Mey.“ Und „es dauert Jahre, bis Talente nachwachsen“. Zumal die Talentsichtung in den Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) mit dem Fall der Mauer gleichzeitig entfiel. Stützpunkte gibt es auch in Frankfurt am Main, Inzell und München. Aber die Crème de la Eiscrème kommt nach wie vor aus Erfurt, Berlin und Chemnitz. Ebenso wie der Nachwuchs: Franziska Schenk, Bronzemedaillengewinnerin über 500 Meter, und Anke Baier (beide Erfurt). „Wo schon etwas besteht, läßt sich am ehesten etwas entwickeln“, meint Helmar Gröbel, wohlwissend, daß das Ost-West-Gefälle in diesem Sport besonders konfliktträchtig ist.

Walther Tröger war eigens ins eineinhalb Stunden entfernte Hamar geeilt, um das Gold auf der 3.000-m-Strecke, das so sicher schien wie kein anderes, zu beglückwünschen. Nun, wir wissen es, Goldmarie Niemann bewegte sich auf glattem Terrain, stürzte, und wenn das beste Pferd im Stall strauchelt, spart zwar der Steuerzahler die Prämie (15.000 Mark für Gold), doch der Medaillenspiegel glänzt etwas stumpfer. Pech für diejenige, welche „mehr trainiert als mancher Mann“ (Gröbel). Pech auch für Schüttelfreund Tröger.

Hauptsache der Teamgeist vermasselt seinen Auftrag nicht auch noch. Cornelia Heim