Autonomie und Ko-Regierung

In San Cristóbal haben die Verhandlungen zwischen Zapatista-Guerilla und Regierung begonnen / Solidaritätskundgebungen für die EZLN / Auch Gegner machen mobil  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Der vermummte Guerillaführer breitet die Nationalfahne aus, und auch der Regierungsunterhändler ergreift diskret ein Zipfelchen von dem vaterländischen Tuch. Alle erheben sich von ihren Plätzen. Sekundenlanges Schweigen, dann Blitzlichtgewitter. Die Bilder von der ersten gemeinsamen Pressekonferenz in der majestätischen Kathedrale könnten aus einem Politthriller stammen. Aber es ist nicht Hollywood, sondern das mexikanische Kolonialstädtchen San Cristóbal de las Casas, wo am Montag nachmittag eine der wohl ungewöhnlichsten Inszenierungen in der jüngeren Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents begann: Nach dem gerade mal zwölf Tage andauernden „Volkskrieg“ im südmexikanischen Chiapas und weiteren vierzig Tagen spannungsgeladener Vorbereitungen trafen in dem zur „Friedenskathedrale“ umgetauften Gotteshaus die neunzehn Delegierten der Zapatistenguerilla EZLN auf den Regierungsvertreter Manuel Camacho Solis. Vermittler bei den Gesprächen in der altehrwürdigen Kathedrale ist der Hausherr Samuel Ruiz; wegen seiner Verdienste um einen „neuen und würdigen Frieden“ ist er mittlerweile zum Anwärter auf den Friedensnobelpreis 1994 gekürt worden.

Nachdem die gewählten Delegierten der Zapatistenarmee und deren politischen Führung CCRI, allesamt vermummt und teilweise bewaffnet, sich in ihren jeweiligen Sprachen – tzotzil, tzeltal, chol und tojolabal – mit Namen, Rang und Herkunft vorgestellt haben – alle sind „hundertprozentig“ sowohl indianischer wie chiapanekischer Herkunft –, ergreift ihr Sprecher „Marcos“ dann wieder das spanische Wort. „Im Namen des CCRI“ erklärt der Subcomandante vor versammelter Reporterschar, daß die Aufständischen „keinesfalls den Kampf um ihre Rechte bereuen, aber dies für einen möglicherweise geeigneten Moment halten, damit anstelle der Feuerwaffen die Worte aus dem Herzen dieser wahren Menschen sprechen“. Ganz so einfach aber ist es nicht. Denn schon die Ausgangsforderung der Guerilla-Delegierten nach indianischer Selbstverwaltung überschritt deutlich die Grenzen des regierungsamtlichen Goodwill. „Marcos“ hatte schon Tage zuvor angekündigt, daß die Guerilla entsprechende Verfassungsformen und eine Art „Ko-Regierung“ zwischen der regulären Landesregierung mit einer gewählten indianischen Führung vorschlagen werde. Dagegen hatte Camacho Solis vor Gesprächsbeginn zum wiederholten Male versichert, auf der Tagesordnung könnten keine nationalen Themen stehen, sondern nur „die Probleme der Ethnien von Chiapas“.

Unterdessen wird die populäre Aufstandsbewegung immer stärker umworben: Vertreter der linken PRD-Opposition und drei kleinere Parteien hatten am Montag erstmals öffentlich angekündigt, daß man der Zapatistenguerilla für die kommenden Präsidentschaftswahlen eine Art Wahlbündnis vorzuschlagen gedenke.

Solidarität von allen Seiten. „Laßt uns bei den Gesprächen nicht allein“, hatte die Guerilla in einem der Kommuniqué aufgerufen – und dem wurde massenhaft Folge geleistet. Schon vergangene Woche hatten in der Landeshauptstadt Tuxtla an die 10.000 LehrerInnen ihre „totale Übereinstimmung“ mit der EZLN demonstriert. Und während am Montag rund hundert weißgekleidete Frauen schweigend durch die Straßen von San Cristóbal marschierten, wurde in der Bundeshauptstadt eine Messe für „den indianischen Frieden“ abgehalten. Im benachbarten Bundesstaat Guerrero waren am Montag nachmittag mehrere hundert indianische Mitglieder des „Rates von Guerrero – 500 Jahre Widerstand“ zu einem voraussichtlich zweiwöchigen Fußmarsch Richtung Mexiko-Stadt aufgebrochen – in ausdrücklicher Solidarität mit der EZLN. Nachdrücklich wollen sie Präsident Salinas darauf hinweisen, daß von den mehr als 800 Forderungen, die man seit Oktober 1992 an die Instanzen der Landes- und Bundesregierung gestellt habe, „gerade mal zwei Prozent erfüllt“ worden seien. Im südwestlich angrenzenden Oaxaca hatten 22 mixtekische Gemeinden ihrerseits die „Zapatistische Bewegung des Südens“ gegründet und die EZLN aufgefordert, auch ihre Forderungen nach Respekt und Schutz ihrer Ethnie in den Verhandlungskatalog mit aufzunehmen.

Aber nicht nur die Solidaritäts-, sondern auch die Unmutsbekundungen im Lande nehmen deutlich zu. So mehren sich die Demonstrationen der ganaderos – lokaler Viehzüchter, die sich über den vermeintlichen Diebstahl von viertausend Rindern beklagen –, die immer öfter zu Kundgebungen für die Streitkräfte und gegen EZLN- Sympathisanten aufrufen.

Nicht nur unliebsame JournalistInnen und UniversitätsstudentInnen geraten in die – noch – verbale Schußlinie der militanten Viehzüchter. Schon seit Wochen etwa werden die zehn Nonnen des Indianerhospitals San Carlos im chiapanekischen Altamirano von einer selbsternannten „Gruppe des Volkes“ der Unterstützung für die Guerilla bezichtigt. Rund hundert angeheizte BewohnerInnen – unter Führung des lokalen PRI- Vorsitzenden Jorge Constantino – drohten den Schwestern mit dem Anzünden des Gebäudes und warnten: „Sonst holen wir euch mit Gewalt raus!“ Bis jetzt aber denken die beherzten Schwestern gar nicht daran, dieses einzige Hospital weit und breit zu verlassen, wo sie seit fast zwanzig Jahren die IndianerInnen von Altamirano mit den notdürftigsten medizinischen Diensten versorgen.

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