Umwelt-Weise ohrfeigen Regierung

Sachverständigenrat für Umweltfragen kritisiert Umweltpolitik der Bundesregierung als unzureichend / Erstes Gesamtgutachten seit sieben Jahren zieht eine negative Bilanz  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat der Bundesregierung gestern schlechte Noten für ihre Umweltpolitik ausgestellt. In ihrem ersten Gesamtgutachten seit 1987 bemängelten die sieben von Umweltminister Töpfer berufenen Professoren die konzeptionslose und lasche Umweltpolitik der Regierung Kohl: „Die Umweltpolitik der beiden vergangenen Legislaturperioden konnte dem Anspruch eines sektorübergreifenden und in sich abgestimmten Umweltschutzkonzeptes nicht gerecht werden.“

Statt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen voranzutreiben, beteilige sich die Regierung in der Rezession an der Diskussion des Umweltschutzes als Arbeitsplatzkiller. Diese Herangehensweise sei kurzsichtig und spreche für einen „Rückfall in alte Denkpositionen“. Eine Verschiebung der Umweltprobleme auf spätere Jahre mache ihre Beseitigung aber nur teurer, warnte der Ratsvorsitzende Hans Willi Thoennes. Zaghaftes Herangehen helfe nur wenig. Nachhaltige Entwicklung, wie sie auch von der Regierung postuliert werde, sei eben – „wenn sie ernstgenommen wird – revolutionär“. Insbesondere mit der Verkehrspolitik und den Straßenbauorgien der vergangenen Jahre gingen die Professoren hart ins Gericht. Die Verringerung der Bürgerbeteiligung in sogenannten Beschleunigungsgesetzen und Ausnahmeregelungen für noch mehr Asphalt noch schneller hätten der Umweltpolitik einen Bärendienst erwiesen. Der Bundesverkehrswegeplan, der den Neubau von 11.000 Kilometern Autobahn vorsieht, bedürfe einer ökologischen Überarbeitung. Bundesweit müßten Tabuzonen ausgewiesen werden, in denen keine neuen Straßen entstehen dürften. Um klimapolitisch glaubwürdig zu bleiben, müsse die Regierung den Benzinpreis deutlich anheben, verlangen die Professoren. Benzin müsse in zehn Jahren 4,60 bis fünf Mark kosten, so das Ratsmitglied Hans-Jürgen Ewers. Sonst rechne sich ein Drei- Liter-Auto einfach nicht. Zur Vermeidung des Sommersmogs müßten die Stickoxide um 80 Prozent reduziert werden. Eine Benzinpreiserhöhung in Deutschland allein helfe allerdings nur wenig, räumte Ewers ein. Regelmäßige Benzinpreiserhöhungen in allen EU-Staaten solle die Bundesrepublik deshalb zu einem zentralen Thema ihrer Ratspräsidentschaft 1994 machen.

Im Naturschutz und der Landwirtschaft sehen die Gutachter die größten Defizite. Es fehlten die Daten, die eine integrierte Betrachtung der Umweltsituation in Deutschland erlauben. Die von der EU und der Bundesregierung betriebene Agrarstrukturpolitik führe nur zu einer Aufspaltung der landwirtschaftlichen Flächen in intensiv bewirtschaftete und Brachflächen. Notwendig seien aber Extensivierungsprogramme und weniger Pestizideinsatz. Statt nur Flächenstillegungen zu subventionieren, sollte die Regierung lieber ökologische Leistungen in der Landwirtschaft subventionieren.

SPD-Umweltexperte Michael Müller nannte das Gutachten gestern „ein Dokument über den umweltpolitischen Rückschritt der letzten Jahre“. Bundesumweltminister Klaus Töpfer, dem das Gutachten überreicht wurde, sprach hingegen von einem wichtigen Beitrag zur Bewertung und Fortentwicklung der Umweltpolitik im vereinten Deutschland.