Vielfalt, Einfalt und Weltbürgertum

1.200-Jahr-Feier der Stadt Frankfurt/Main in der Alten Oper / Große Worte, große Musik und Mißtöne wegen Ausladung des Dalai Lama mit Rücksicht auf China  ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt

„Sie verwandelt sich ihren Bewohner nicht an. Sie überzieht sie nicht mit ihren Eigenschaften, wie Wien oder Paris das tun. Sie macht einen nicht krankhaft lebenskünstlerisch wie München oder so mißtrauisch identitätstrunken wie Berlin.“ Frankfurt am Main, so die Konklusion der Schriftstellerin Eva Demski, lasse einen bei sich. Die Stadt kümmere sich nicht besonders und möchte auch nicht 24 Stunden am Tag angebetet, geliebt oder verteidigt werden: Die Menschen in Frankfurt am Main blieben wie nebenbei hier hängen – „angezogen und festgehalten vom völligen Mangel an Pathos“.

Doch auch Pathos gab es gestern in der Alten Oper zu Frankfurt am Main auf der Festveranstaltung 1.200 Jahre Frankfurt am Main satt: Schöne große Worte von Oberbürgermeister Andreas von Schoeler, von Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und von der Schriftstellerin Elisabeth Borchers – und schöne große Musik von Beethoven und Hindemith, Mendelssohn Bartholdy und Heiner Goebbels. Es war Andreas von Schoeler, der in seiner Eröffnungsrede darauf insistierte, daß der Stadt Frankfurt am Main „alles Dogmatische fremd“ sei. Und daß „Vielfalt, Weltbürgertum und Lokalpatriotismus“ das Bild der Stadt prägten.

Doch zu „Vielfalt und Weltbürgertum“ paßte im Vorfeld der Jubiläumsfeierlichkeiten die Einfalt nicht, mit der – nach einem Hinweis aus dem Außenministerium – der Dalai Lama vom Festkomitee wieder ausgeladen worden war. Die „Stadt des Geldes, die aber keine Geldstadt ist“ (von Schoeler) verzichtete mit Rücksicht auf die Handelsbeziehungen mit den rotchinesischen Okkupatoren von Tibet auf das Oberhaupt des Buddhismus – und die Grünen verzichteten auf die Teilnahme an der gehobenen Feierei mit zwei Staatspräsidenten. Und deshalb klangen die Worte des sozialdemokratischen OBs von Frankfurt am Main als dem Ort des „freien Wortes und der kritischen Diskussion, ja der Aufsässigkeit“ schal.

Die Schriftstellerin Elisabeth Borchers rückte danach die Zahl 1.200 in ein frankfurttypisches Blickfeld: „Die Zahl ist uns vertraut. Wir setzen sie in Beziehung zu dem Wort Geld.“ Nicht umsonst sei gerade in Frankfurt am Main der törichten Redensart, über Geld spreche man nicht, gründlich der Garaus gemacht worden. Und der dramatische Höhepunkt dieser Philosophie laute schlicht: „Geld oder Leben.“ Es gab im Auditorium viel Beifall für Borchers. Und auch Mitterrand und von Weizsäcker wurden mit stehenden Ovationen begrüßt. Dagegen rührte sich im Saal keine Hand, als OB von Schoeler in seiner Laudatio auch den hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) erwähnte. Schlechte Karten für den roten Hans beim versammelten Geldadel der Stadt und bei den Honoratioren aus Kunst, Wissenschaft, Kirche und Militär.

Schlechte Karten auch für die Stadtväter und -mütter mit OB von Schoeler an der Spitze. Denn nur Monate vor den angesetzten 1.200-Jahr-Feierlichkeiten legten Archäologen in Frankfurt/Main ein Grab frei, das von den Experten als „weit vor 794 angelegt“ eingeschätzt wurde. Immerhin bleibt den feierwilligen FrankfurterInnen der Trost, daß der Name „Frankonofurds“ 794 erstmals schriftlich erwähnt wurde – in einem Brief von Karl dem Großen an den Erzbischof Epiland von Toledo. Da aber war Frankfurt längst ein locus celeber (Borchers), ein „häufig besuchter Ort“. Und das sei die Stadt schließlich bis heute geblieben, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der sich vom ausgelasteten Flughafen und von der „einzigartigen Skyline“ besonders beeindruckt zeigte.

Weizsäcker erinnerte an die demokratischen Traditionen der Stadt – und daran, daß Frankfurt immer „Sinnbild demokratischer Bürgerkultur“ gewesen sei. Und aufgrund seiner Strukturen, so der Bundespräsident unter dem Beifall der FrankfurterInnen, habe es die Stadt auch nie nötig gehabt, Hauptstadt zu werden. Im „Superwahljahr“ mahnte Weizsäcker alle politischen Parteien Probleme – nach Frankfurter Tradition – im freiheitlichen Streit praktisch zu lösen.

Der Thomanerchor aus der Partnerstadt Leipzig intonierte danach „Ich lasse dich nicht!“ von Johann Sebastian Bach. Und „lassen“ wollten die FrankfurterInnen dann auch nicht ihren François Mitterrand aus Paris, der mit Ovationen geradezu überschüttet wurde. Schließlich schließt sich mit dem Frankfurter Ehrenbürger Mitterrand der Kreis der Geschichte: Vom „Frankfurtgründer“ Charlemange (Karl der Große) bis zur deutsch-französischen Freundschaft heute – ein „Kreidekreisproblem“ (Borchers). Keine Probleme gab es anschließend bei der Vernichtung des kalten- und warmen Buffets und der Leerung der Champagnerflaschen. Schließlich gezieme es Frankfurt nicht nur, nach allen Seiten zu glänzen, sondern auch nach allen Seiten tätig zu sein (Goethe).