Auf den Kanzler kam es mal an

■ CDU-General Hintze sucht Stärken der CDU in den vermeintlichen Schwächen der SPD

Hamburg (taz) – Der CDU-Parteitag geht von zwei grundsätzlichen Fehleinschätzungen aus: Die Union hat in den letzten 12 Jahren nicht regiert und – wird auch im nächsten Jahr noch regieren. Mit der ersten Annahme wurde auch am zweiten Tag der Hamburger Versammlung die Verantwortung für die negativen Folgen der Regierungspolitik verdrängt, um dann doch noch den Anspruch auf die Fortsetzung der Koalition auch nach den nächsten Bundestagswahlen zu begründen.

Letzteres war gestern die Aufgabe von Generalsekretär Peter Hintze, der mit mutmachenden Formulierungen an die frenetisch gefeierte Rede seines Vorsitzenden anzuknüpfen versuchte – mit weniger Applaus. Zwar verband er seine Überzeugung – „Wir haben die besseren Konzepte, die besseren Perspektiven und den besseren Spitzenkandidaten“ – mit dem Eingeständnis, „viele“ würden zur Zeit an der Politik der CDU zweifeln; doch ließ er zugleich die Delegierten wissen, er spüre bereits, „daß die Zustimmung zu unserer Politik wächst“. Die CDU, so nahm Hintze auch in diesem Punkt die Leitlinie des Kanzlers vom Vortag auf, brauche jetzt „vor allem Geschlossenheit. Denn nur wenn wir gemeinsam stark sind, werden wir siegen.“ Überwindung der Arbeitslosigkeit, Innere Sicherheit, Außenpolitik, die Themen und Konzepte, mit denen die Union im Herbst „siegen“ will, streifte Hintze nur am Rande, um sich dann eingehend und heftig mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen. Eine Partei, die sich noch immer auf die Tradition des demokratischen Sozialismus berufe, die die „Lehren der Geschichte nicht begriffen“ habe, dürfe „Deutschlands Zukunft nicht in Händen halten“.

Hintze schlug neuerlich die Themen an, mit denen die Union die Regierungstauglichkeit der SPD in Zweifel ziehen will: die „Verstrickungen mit der SED“ und die angebliche außenpolitische Unberechenbarkeit der Sozialdemokraten. Hintzes Enteignung der SPD von allen politischen Verdiensten gipfelte in der These, „alle entscheidenden Weichenstellungen in der Geschichte unseres Landes“ seien von der Union durchgesetzt worden.

Während auch Hintze die in der Partei nicht abgestimmte Familiensteuer-Diskussion kritisierte, war es neuerlich Heiner Geißler, der für kontroverse innerparteiliche Debatten stritt: „Wenn man sich in der Defensive befindet“, beschrieb der Ex- Generalsekretär unumwunden die Lage der Union, „muß man Streit anfangen, nicht nur mit dem Gegner, sondern auch innerhalb der Partei.“ Geißler sprach von einer „Vertrauenskrise“ der Union wie der Politik insgesamt. Doch ohne Debatte und „rationalen Diskurs“ könnten Kompetenz und Vertrauen nicht wiedergewonnen werden.

Obwohl die Partei vor allem unter dem Druck des Wahljahres steht, mußte sie sich gestern – geplant war bis Mitternacht – mit Grundsätzlichem auseinandersetzen. Das neue Grundsatzprogramm, zu dem insgesamt 2.500 Änderungsanträge eingereicht wurden, wird das 15 Jahre alte Ludwigshafener Programm ablösen. Die wegen ihres Vorschlages für eine Sondersteuer für Kinderlose hart gebeutelte Familienministerin Hannelore Rönsch bekam zumindest vom neuen Grundsatzprogramm Unterstützung: Finanzielle Förderung von Eltern und Familien wird großgeschrieben.

Streit im Vorfeld hatte bereits die grundsätzliche Hinwendung der Union zu einer „ökologischen und sozialen Marktwirtschaft“ ausgelöst. Spätestens zu diesem allzu grün klingenden Anspruch wurde der Konflikt zwischen christlicher Verantwortungsethik und den Erfordernissen des Wahlkampfes erwartet. Matthias Geis

Tagesthema Seite 3