: „Bei uns ist es immer eklig...“
■ Der Tierarzt Dr. Welz hat 33 Jahre lang im bakteriologisch verseuchten Fleisch gepult
„Das waren noch Zeiten, als wir neben der –Giftecke– – da wurden die infektiösen Fleischproben gekocht – immer unseren Kaffee aufgesetzt haben!“ Nicht, daß irgendjemand im staatlichen Veterinär-Untersuchungsamt wegen des Kaffees besorgt gewesen wäre – gemeckert hat immer der Kollege am Tisch nebenan, der per Kochprobe versuchte, das besonders penetrant stinkende und für den Verzehr verbotene Eberfleisch zu erschnuppern.
Empfindlichkeit läßt sich den MitarbeiterInnen des Veterinäruntersuchungsamtes gewiß nicht nachsagen, und ständig stinken tut es im Dienstgebäude an der Utbremer Straße auch heute noch – auch wenn zwischen den oben beschriebenen Zuständen und heute rund 30 Jahre liegen. Doch damals hat der Tierarzt Dr. Wolfgang Welz (63) angefangen mit der staatlichen Fleischbeschau, Lebensmittel- und Milchanalyse: Fleischesser und Milchtrinker ist er trotzdem geblieben, Chef des Amtes 14 Jahre lang gewesen, Pensionär gestern geworden.
Und seinem Friseur wird in Zukunft wohl einiges erspart bleiben: „Nach Jahren hat der mich mal ganz vorsichtig gefragt: –Was haben Sie bloß heute gemacht?–, tja, da stanken die Haare wahrscheinlich nach Fischmehl“, erzählt Welz. Wenn's bloß das war... „Bei uns ist praktisch immer alles eklig“, sagt der Tiermediziner über seine Arbeit. Und das nicht nur, wenn in einem Fleischtransporter die Kühlung ausgefallen ist „und einem alles entgegenkommt“. Oder wenn ausgegrabene Tierleichen auf den Verdacht der Tierquälerei hin untersucht werden müssen.
Die wahre Herausforderung heutzutage seien aber nicht die Dinge, „die Sie schon mit der Nase feststellen können“. Früher, da wurde die Wurst wenigstens noch grün oder schmierig, wenn sie schlecht war – „bei den eingepackten Waren heute können die Verbraucher das mit dem Auge fast gar nicht mehr feststellen“, so Welz. Die klassischen vom Tier auf den Menschen übertragbaren Krankheiten wie Tuberkulose, Tollwut oder die Papageienkrankheit habe man durch die ständigen Untersuchungen nahezu im Griff. Auch wenn der Weg zur gesetzlich geregelten Routine bisweilen tragisch war: Ende der 50er Jahre fing man gerade an, an Tuberkulose erkrankte Rinderbestände rigoros zu schlachten – ein herber Geldverlust für die Landwirte. „Ein Bauer weigerte sich, weil er das Schlachten aller Kühe für sinnlos hielt“, erzählt Welz. „Einige Zeit später starb seine Tochter – an Tuberkulose. Sie hatte sich durch die Kuhmilch infiziert.“
Ein neues Untersuchungsgebiet ist zum Beispiel der Nachweis von illegal verwendeten Arzneimitteln wie Hormonen und Antibiotika. Die Analysemethoden für fast eine halbe Million jährlich anfallender Untersuchungen werden immer komplizierter und sind heute fest in SpezialistInnenhand: die gibt es für den Eutergesundheitsdienst ebenso wie für die Untersuchung von Reptilien.
Eine SpezialistIn für die Psychologie von TierbesitzerInnen gehört allerdings nicht zum MitarbeiterInnenstamm – obwohl eine solche bisweilen dringend nötig wäre. Denn manchmal kommen Kinder mit ihrem toten Wellensittich im liebevoll dekorierten Pappschächtelchen und wollen wissen, warum Hansi sterben mußte. HundebesitzerInnen lassen sich die Herzinsuffizienz des verblichenen Rex bestätigen, IgelfreundInnen den stacheligen Findling auf Herz und Nieren untersuchen – das alles gegen geringes Entgelt.
Trotz aller von ihm nachgewiesenen Steppokokken-Infektionen in der Sauce Hollandaise, Salmonellen im Hackfleisch und Rehrücken, die sich als Gazellenfleisch herausstellten: „Bloß nicht verrückt machen lassen“ war all die Jahre für Wolfgang Welz– Motto. Lieber pasteurisierte Milch trinken und mit französischem Rohmilchkäse aufpassen, um sich das „seuchenhafte Verkalben von Kühen“ nicht einzufangen. Und für Fernsehserien wie „Der Doktor und das liebe Vieh“ wird sich der pensionierte Tierarzt wohl auch jetzt nicht erwärmen können: „Ich hatte mit Tieren ja erst dann zu tun, wenn sie tot auf dem Seziertisch lagen.“
Susanne Kaiser
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