Ein Zithern in Harmonie

■ Seit hundertundzwei Jahren konzertiert in Bremen ein Zithermusikorchester/ Durchschnittsalter um die Siebzig

„Beim Dacapo, da schaltet Ihr am besten um, wie beim Fernsehen. Von der Romanze auf RTL zum Western auf Sat 1. Oder so.“ Spricht Dirigent Matthias Wichmann zu seinem Orchester. Sieben Zithern, eine Gitarre und eine Baßbalalaika heben erneut zum Eigenartigen Ländler an. Und steigern sich so begeistert in denselben hinein, daß sie bis zum Finale sogar ihre kleinen Instrumententischchen ins Zittern gebracht haben.

So soll es sein. Das Tremolo, dieses leichte Beben, gehört zur hohen Kunst des Zitherspielens. Der frönen die MusikerInnen des Bremer Zitherorchesters nun schon lange Jahre. Sie alle bewegen sich in rekordverdächtigen Alters- und Mitgliedschaftsdimensionen zwischen Fünfzig und Neunzig, die älteste Musikerin, Franziska Kostial, ist gar fast so alt wie der Bremer Zitherverein selbst. 1892, im Jahr der Gründung, nannte sich das Orchester noch Harmonie. Heute firmiert es als eigene Abteilung im Bremer Arbeiterverein Vorwärts. „Harmonisch sind wir Bremer Zithernden deswegen immer noch allemal“, sagt ein Orchestermitglied. „Unser Problem ist nur, daß wir langsam veralten.“

Die Jugend läßt sich halt gar so schwer für die Zither begeistern. Das mag daran liegen, daß das Instrument vorschnell in die Volksmusikecke gedrängt wird, mutmaßen die Aktiven. Aber das seien doch Ressentiments, es gebe inzwischen sogar Pink-Floyd-Stücke für die Zither. In Holland werden die viel gespielt. Heinz Hagens meint: „Das ist ja dann schon Geschmacksache, so etwas zu spielen. Aber man kann es auch auf der Zither bringen. Ich hab mal welche gesehen, die machten mit dem Schlüsselbund auf den Saiten rum.“

Normalerweise verbindet man mit der Zither eben Gemütlichkeit, da sind sich alle einig. Zwar ist die Zitherliteratur inzwischen recht vielseitig geworden – selbst die BremerInnen haben neben alpenländischer Folklore auch Geistliches, Klassisches, Romantisches und ein bißchen Irisches im Repertoire. Trotzdem ist dem Orchester halt doch die Liebe zur guten Stubenmusi anzumerken. Man vergnügt sich auch an diesem Probenabend am meisten beim Hackbrett-Boarischen, beim Jagdhütt'n-Walzer oder bei der Weißbacher Polka („Das muß die Salzburger Gegend sein“). Helga Hofmann aus München und Franziska Kostial aus österreich haben dieses Faible von zu Hause mitgebracht, die anderen aber kommen alle aus Bremen und Umzu („Delmenhorst“ ruft einer).

Der Bremer Zitherverein darf sich neben dem Berliner als der einzig größere im Norddeutschen Raum verstehen. Zu seinen Gründerzeiten konnte man noch auf drei Gruppen zu je dreißig Personen zurückgreifen, „das, was man heute so A- und B-Mannschaft nennt“. Herr Burder, erzählt man sich, der erste Dirigent des Vereins, hat auch selbst komponiert. Sein jüngster Nachfolger, Matthias Wichmann, der übrigens auch an Lebensjahren (30) der Jüngste ist, tut dies ebenso und arrangiert schon mal das eine oder andere Stück für sein Orchester. „Es ist schon ungewöhnlich, daß wir hier in Bremen Zither spielen“, meint er, „auch meine MitstudentInnen an der Musikhochschule hatten viele gerade mal von dem Instrument gehört, geschweige denn, es je gesehen.“

Zur Volksmusik mußte auch er erst seinen Draht finden. Ansonsten scheint es hier im Norden gerade wieder eine Art Volksmusikwelle zu geben. Das Orchester konzertiert fleißig bei Kaffeegesellschaften, zu Hochzeiten und Kirchenfesten, beim Imkerbund oder in Altenheimen. Vor Weihnachten ist es ganz schlimm mit den Nachfragen. Da werden dann auch schon mal Trios oder Quartette ausgelagert, oder die eine oder der andere tritt solo auf. Wie Franziska Kostial, die dann zu ihren Stücken singt, „da brauch ich nicht so genau zu spielen“. Zu den Konzerten erscheint das gesamte Orchester dann ab und an entsprechend gekleidet, die Damen besitzen alle ihr Dirndl, die Herren Trachtenanzüge, „aber keine kurzen Hosen“.

Obwohl es ja nun wirklich ein großer Irrturm ist, die Zither im Bayrischen zu beheimaten. Sie kommt aus dem Harz. Und die meisten Instrumente wurden und werden in Markt Neukirchen/ Vogtland hergestellt. Dort fand im Herbst 1992 das „größte Treffen aller Zitherspieler aus aller Welt“ statt. Die Bremer Heinz Hagens und Heino Habben waren dabeigewesen: „Man glaubt es ja nicht, aber die Zither ist vor allem in Japan sehr beliebt.“ Allein in Deutschland seien 1.600 Zithernde gemeldet, nur, wie gesagt, das Nachwuchsproblem macht überall große Sorgen. „Vielleicht liegt es ja doch daran, daß man Schwielen an den Fingerkuppen bekommt.“ Silvia Plahl