Steuern verschwinden in der Steckdose

■ Berlin zahlt der Bewag seit 1977 zuviel Geld / Verluste von einer Viertelmilliarde / Senat will Vertrag noch nicht ändern

Im Westteil der Stadt zahlen Kindertagesstätten, Schulen, Rathäuser und Polizeireviere 57 Pfennig für eine Kilowattstunde Strom. Privates Gewerbe dagegen muß die gleiche elektrische Leistung dem Stromversorgungsunternehmen Bewag nur mit 35 Pfennig vergüten. „20 Millionen Mark zuviel zahlt Berlin jährlich“, hat Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, errechnet.

Der Abgeordnete hatte an den zuständigen Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) eine entsprechende Anfrage gerichtet, nachdem die taz im September vergangenen Jahres den dubiosen Strompreis für öffentliche Gebäude bekannt gemacht hatte.

Damals konnte die Bauverwaltung die Verluste für das Steuersäckel nicht beziffern. Auf Grund der ihm nun vorliegenden Zahlen schätzte Berger, daß sich der Gesamtschaden für Berlin – seit 1977 gilt der entsprechende Stromvertrag mit der Bewag – auf eine Viertelmilliarde Mark summiert.

Im September hatte der Leiter des Referats Elektrotechnik, Joachim Rosenlöcher, den überteuerten Preis für Gewerbestrom in den Westbezirken damit begründet, daß Mittelspannung (10.000 Volt) dafür billiger bezogen werde als auf dem Markt üblich. Doch davon ist in der Antwort des Bausenators kein Wort mehr zu finden. Es mangelt an einer Begründung, warum Bezirke oder Senat jährlich zweistellige Millionenbeträge aus dem Fenster hinaus direkt in die offenen Geldsäcke der Bewag werfen.

In dem Schreiben heißt es nur noch, daß ein einheitlicher Strompreis für alle öffentlichen (West-)Gebäude den Abrechnungsaufwand minimiere. Auch biete der Preis „Anreiz“, „bevorzugt“ Mittel- und Hochspannungsstrom abzunehmen.

Die Bewag will nämlich das 220-Volt-Netz für Kleinverbraucher freihalten. Beides Gründe, mit denen aber das Gegenteil erklärt wird. Denn schließlich entfällt für die Bewag ebenfalls Verwaltungsaufwand und ihr 220-Volt-Netz kann sie entlasten. Warum das Entgegenkommen Berlins nicht vergütet, sondern bestraft wird, konnte Günter Sperling von der Bauverwaltung, über dessen Schreibtisch die Antwort an den Abgeordneten ging, gegenüber der taz nicht aufklären. Nur eines glaubte er zu wissen: „Bergers Schätzungen dürften nicht realistisch sein.“ Eine andere Summe wollte der Beamte aber nicht nennen.

Daß etwas nicht koscher ist, gibt Bausenator Wofgang Nagel zumindest indirekt zu. Denn der Stromvertrag soll geändert werden. Allerdings nicht sofort. Andere zur Zeit laufende Verhandlungen sollen „nicht belastet“ werden, schreibt der SPD-Senator. Für Umweltpolitiker Berger ist die Angelegenheit klar: Es gebe keine Rechtfertigung für die jährliche Millionenspende, hinter der der „Filz der alten Inselstadt West- Berlin“ stecke. Der Abgeordnete forderte gestern den Bausenator auf, den Vertrag umgehend zu kündigen. Dirk Wildt