■ Nach dem Abschluß des Hamburger CDU-Parteitages: Eine Ahnung der Nach-Kohl-Ära
Zum spektakulären Auftakt des Hamburger Parteitages geriet Helmut Kohls faktisches Debattenverbot. Mit ihm untermauerte er erneut seine Forderung nach innerparteilicher Geschlossenheit und rückte etwaige Kritiker schon prophylaktisch ins Abseits. Wer schon im voraus mit gönnerhaft-autoritärem Gestus die Frist der Debatte markiert, nach der dann wieder die wirkliche Politik Platz zu greifen habe, demonstriert, daß er auf die Debatte und ihre Ergebnisse auch gut verzichten kann.
Zur überraschenden Bilanz von Hamburg gehört jedoch, daß der CDU trotz dieses Auftaktes einer der debattenfreudigsten Parteitage der jüngeren Zeit gelungen ist. Die anstehende Verabschiedung des Grundsatzprogrammes eröffnete hierzu nur die Chance. Doch daß sie in Hamburg, trotz des drohend heraufziehenden Wahljahres und seiner taktischen Erfordernisse, genützt wurde, läßt mehr dahinter vermuten als eine den Prognosen eben nicht ganz entsprechende Nebensächlichkeit. In Hamburg haben sich – noch eingerahmt vom Parteiestablishment – die Jungen in der CDU schon mal zu Wort gemeldet und auf sympathische Weise ihren Anspruch auf die Zukunft der Partei demonstriert.
Also die konstruktive Variante zu den vielen schon im Ansatz steckengebliebenen Fronden der Vergangenheit. „Trotz“, nicht „gegen Kohl“ lautete die Devise. In ihr steckt die Ahnung, daß mit dem Niedergang der Ära auch der Kohlsche Anspruch seine Überzeugungskraft verliert, nur die Formierung der Partei garantiere ihren Erfolg. Im frenetischen Beifall für Kohl wurde der akklamatorische Charakter seiner CDU noch einmal auf die Spitze getrieben, während die Debatten schon sein Dementi andeuteten.
Es war denn auch ein hochsymbolisches Ereignis, als in Hamburg Heiner Geißler, mit dessen Abschiebung Kohl einst seine Machtstellung endgültig gesichert hatte, die Wiederaufnahme des Streits innerhalb der CDU einforderte und zur Voraussetzung ihrer Erneuerung erklärte. Mit seiner Rede – dem heimlichen Höhepunkt des Parteitages – hat Geißler den Anspruch zurückgewiesen, von dem er sich im Sommer 89 hatte geschlagen geben müssen. Mit seiner faszinierenden Dekonstruktion des Kohlschen Politikmodells präsentierte sich der Geschlagene von einst als Mentor derjenigen, die irgendwann mit der Kohlschen Hinterlassenschaft fertig werden müssen.
Doch bevor die junge Generation der CDU darangehen kann, die Kluft zwischen der in Hamburg viel beschworenen „christlichen“ und der souverän verdrängten politischen Verantwortung zu schließen, steht das Ende der Kohlschen Herrschaft. Ob es sich noch einmal hinauszögern läßt? Etwa mit Kohls Versuch, ganz am Ende der Veranstaltung auch noch den Streit als Qualität seiner Partei zu vereinnahmen? Egal, den bruchlosen Übergang zwischen dem selbstgefällig-sturen und dem verantwortlichen, selbstkritischen und reformmutigen Konservatismus eines Heiner Geißler wird es nicht geben.
Erst kommt der Katzenjammer, die Depression nach dem Ende des Zwanges. Daß sie trotz des personellen Kahlschlages der letzten Jahre nicht endlos dauern muß, das immerhin hat der Hamburger Parteitag angedeutet. Matthias Geis
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