Blühende Landschaft, verseuchte Kühe

■ Chemie-Altlast bei Bitterfeld verseucht die Milch / Hochwasser spülte Gift auf die Wiese

Magdeburg (taz) – Durch das Hochwasser der vergangenen Wochen wurden mehrere hundert Kühe eines Milchwirtschaftsbetriebes in Dessau mit krebserregenden Chlorwasserstoffen vergiftet. Bei Routineuntersuchungen entdeckte das Veterinäramt Dessau die Chemikalie am vergangenen Freitag in der Milch der Kühe. Wie das Magdeburger Landwirtschaftsministerium gestern erklärte, sind rund 20.000 Liter Milch verseucht, 730 Kühe wurden vergiftet. Der höchstzulässige Grenzwert des Stoffes Beta-HCH wurde in den Milchproben um das Fünf- bis Sechsfache überschritten. Die aus einer früheren LPG hervorgegangene Landwirtschaftsgesellschaft Dessau-Mildensee GmbH, die ausschließlich Milcherzeugung betreibt, wurde stillgelegt.

Das Gift, ein Rückstand aus der Lindan-Produktion des früheren Chemiekombinats Bitterfeld, war zu DDR-Zeiten einfach in das Flüßchen Mulde geleitet worden und hatte sich im Schlamm abgelagert. Durch das Hochwasser ist es vermutlich auf die Weiden der Kühe gespült worden. Bei einer Routineuntersuchung der Milch wurde das erst am Freitag festgestellt. Die beiden Hochwasserwellen im südlichen Sachsen-Anhalt liegen schon einige Wochen zurück. Niemand weiß genau, ob nicht bereits verseuchte Milch durch das Unternehmen ausgeliefert wurde. Der Sprecher des Magdeburger Landwirtschaftsministeriums, Matthias Willenbockel, versicherte gestern: „Gerade dieser Betrieb ist schon in der Vergangenheit sehr häufig kontrolliert worden, weil er eben in einer Region liegt, die durch starke Umweltaltlasten gepägt ist.“ Allein im vergangenen Jahr sei die Landwirtschaftsgesellschaft Dessau-Mildensee 29mal überprüft worden. Rein rechnerisch ergibt das etwa alle zwei Wochen eine Untersuchung. Folglich ist noch unklar, ob bereits vor der Untersuchung am Freitag belastete Milch in den Handel gelangt ist. „Aber eigentlich können wir das ausschließen, der Verbraucherschutz ist für uns schließlich oberste Richtschnur“, so Willenbockel, der auf keinen Fall „eine Beeinträchtigung der Gesundheit der Bevölkerung gegeben“ sieht. Er ist sich ganz sicher, daß die Milch auch auf das Seveso-Gift Dioxin untersucht wurde. Der Befund sei negativ gewesen.

Ein Meßfehler ist wahrscheinlicher: Die Produktion des Schädlingsbekämpfungsmittels Lindan wurde im Chemiekombinat Bitterfeld bereits 1983 eingestellt. Das Pflanzenschutzmittel gilt heute weltweit als besonders umweltschädlich. Bei seiner Produktion entstehen nicht nur Gifte, die jetzt den landwirtschaftlichen Betrieb bei Dessau ruiniert haben. In den Rückständen sind regelmäßig auch Dioxin-Verbindungen anzutreffen, die Firma Boehringer Ingelheim mußte deshalb 1984 ihre Lindan-Produktion in Hamburg einstellen. Das Gelände ist noch heute mit Dioxinen schwer belastet.

Unklar ist aber auch die wirtschaftliche Zukunft der Dessauer Landwirtschaftsgesellschaft. „Der Betrieb ist akut gefährdet“, gibt Willenbockel zu. Auf jeden Fall „geht es nicht an, daß wir jetzt keine Proben mehr nehmen, um den Betrieb zu retten“. So viel Hoffnung machen sich die Mitarbeiter des Betriebs selbst nicht mehr. Das Konkursverfahren sei bereits in Vorbereitung, hieß es, 38 Arbeitsplätze würden dabei verlorengehen.

Die Behörden haben damit begonnen, die verseuchte Milch, die sie sicherstellen konnten, in Kläranlagen zu entsorgen. Knapp 6.000 Liter der Chemie-Milch gingen bereits den Weg durch die Kläranlage. Eberhard Löblich