Schönen Gruß vom Firlefanzler

■ Zwei Altmeister schlugen kräftig zu: Mathias Richling und Matthias Beltz beim Kabarett-Festival auf Kampnagel

Atemlos fabulierend hastet der kleine bewegliche Kerl am Mittwoch abend auf Kampnagel von einer Bühnenseite zur anderen, über ein in den Bühnenboden einbrechendes Bett und alte Matratzen hinweg. Mathias Richling, einer der profiliertesten Polit-Kabarettisten des Landes, hält dem Publikum eine große Spiegelwand vor, mit der er wahrhaft blendend zu ärgern weiß.

Klar, daß in seinem neuen Jetzt schlägt's Richling-Programm die Parteien, der Papst und nicht zuletzt der „Bundesfirlefanzler“ ihr Fett weg kriegen. Mal stellt er den SPD-Parteivorsitz des Rudolf Scharping als Schachzug gegen all diejenigen dar, die meinen, die SPD sei nicht zum Mittelmaß fähig. Die CDU bringt laut Richling frischen Wechsel-Wind in ihre Reihen, denn da zeigen sich völlig fremde Leute in der Partei und jemand wie Kiechle sei da gleich „ungeöffnet zurückgegangen“.

Weiter geht's im Höllentempo zum Thema Einheit: „Russland und Jugoslawien zerfällt - steuerlich beneidenswert -, aber wir bilden eine Einheit“, Deutschland laufe halt wie immer der Geschichte hinterher, schlußfolgert Richling glasklar durch seine zwei übereinandergetragenen Brillen. Zwischendurch telefoniert er immer mal wieder mit einem der großen Präsidenten der Welt - „Hier Deutschland, was können wir für Sie tun?“ -, die Standartformel Jelzin gegenüber lautet: „Nein, wir haben kein Geld“.

Den Papst, der „um's Verrecken für die Vermehrung“ sei, schont er genausowenig wie die „Fixerstube Staat“; die Wirklichkeit ist eben etwas „für Leute, die mit Drogen nicht zurechtkommen“, so Richlings Fazit. Schließlich kramt er zur Erheiterung des Publikums noch ein großes „Bundesfirlefanzler“-Porträt hervor. Der sei ja der der Einzige, der bei sich - trotz verbaler Diarrhö - noch ernst bleiben könne. „Was heißt, ich kann mein Wort nicht halten?“, legt er dem deutschen Obergemüse in den Mund, „wie oft halte ich eine ganze Rede“. Richling jedenfalls brilliert in seiner zwei Stunden-Rede mit großartigem Kabarett und hält seinen Spiegel solange blendend ins Publikum, bis es wehtut.

Simone Ohliger

bis Sonntag: Halle 6, 20.30 Uhr

Bitterböses von Matthias Beltz zur Lage der Nation

Nach der ersten Hälfte der Vorstellung ist die Magensäure schon fast bitter. Die Ahnung, ein goldenes Bier sei nun die einzig tröstliche Wahrheit im Leben, wird Gewißheit: Das kabarettistische Szenario aus dem Seelenleben eines gesamtdeutschen Anwalts Matthias Beltz strotzte am Mittwoch abend in der ausverkauften Halle 1 auf Kampnagel von Sarkasmus und Bösartigkeit.

Anfangs scheint sich der gebürtige Hesse und leibhaftige Jurist erstmal warmreden zu müssen - und fängt ganz oben an, also bei Jesus: „20 Jahre Zwangsarbeit in den Golanhöhen, dann kommt der Kerl nicht mehr auf dumme Gedanken und gründet Religionen“. Trotz solcher Ausfälle ins Gottschalk-Niveau verkörpert Beltz erschreckend glaubhaft den verbitterten Anwalt. An den Deutschen läßt er ohnehin kein gutes Haar und erklärt dem hohen Gericht die mentale Lage der Nation, attestiert schlechtes Benehmen „wie die Axt im Haus“, nach Stalingrad und Auschwitz stehn „die Deutschen dumm in der Einkaufszone und können nicht entscheiden zwischen Tschibo und Eduscho“. Diagnose „der deutsche Volkskörper ist krank: Überfunktion der Lychndrüse“. Bestens ätzig wird Beltz beim Wohltätigkeitsball: „Erst war Schaufüttern für Obdachlose angesagt, als die abgefüllt waren, kotzte Ute Lemper Bert Brecht, daraufhin lachten sich die geistig Behinderten halbtot und bekamen Valium-Tabletten“.

Nicht länger Anwalt, ist Beltz im zweiten Teil Kellner der Gaststube Pinguin. Der Berufswechsel macht Sinn, denn „Mandanten betrachten heute das Recht als Serviceleistung, da werd ich doch lieber gleich Kellner“. Kurz und bündig werden die Regeln für die letzte Bestellung geklärt: „Getränke - gibt's nur eins - und zwar der Reihe nach; auf'm Männerklo ist das Kotzbecken. Männer kotzen statistisch gesehen häufiger als Damen“. Beltz erzählt aus seinem schier unerschöpflichen Fundus trister deutscher Wahrheiten, um am Schluß als Gesamtdeutscher eine kaum zu ertragene Seelenschau abzuhalten: “Ich hatte schon immer das unbestimmte Gefühl, etwas besonders Ekelhaftes zu sein: Ein heterosexuellere weißer Protestant aus der oberhessischen Provinz“. Ein, zwei.., vier Zugaben, etwas weniger von Bitterkeit belastet und schon ist der Abend – leider – vorbei. Katrin Wienefeld

noch morgen, Halle 1, 20 Uhr