: Kampf mit Kakerlaken und kompliziertem Recht
■ Rechnungshof bemängelt: Hamburgs Finanzverwaltung völlig überfordert
Es grenzt an absurdes Theater: Da stellt der Senat die Bevölkerung mit Gruselszenarien auf einen 800 Millionen Mark Sparkurs ein, gleichzeitig läßt er sich jährlich Steuereinnahmen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe entgehen. Ein Geheimnis ist es nicht, daß Hamburgs Finanzverwaltung schon seit Jahren ihren Aufgaben nicht mehr gerecht wird, der neueste Sonderbericht des Hamburger Rechnungshofs belegt jetzt aber, wie drastisch die Misere ist. Rechnungshofspräsident Hermann Granzow gab sich gestern jedenfalls „einigermaßen erschüttert“.
In Hamburg würden die Steuern nicht wie gesetzlich vorgeschrieben, „vollständig, rechtzeitig und gleichmäßig erhoben“, beklagt Granzow. Hier Auszüge aus der Mängelliste des Rechnungshofs: Bearbeitungsrückstände. 1991 konnte nur noch ein Drittel der Einkommensteuererklärungen innerhalb von neun Monaten bearbeitet werden, bei der Körperschaftssteuer sogar nur ein Drittel innerhalb von 15 Monaten.
Betriebsprüfungen: Die Abstände zwischen den Kontrollen sind zu groß. In Großbetrieben sollen sie alle drei Jahren stattfinden, in der Realität werden daraus fünf, bei mittleren Betrieben werden aus vorgeschriebenen sechs häufig mehr als zehn Jahre.
Bearbeitungsqualität: Sie läßt schwer zu wünschen übrig. Allein bei der Überprüfung von 150 bedeutenden Steuerfällen eines Hamburger Finanzamtes wwurden 70 Prozent beanstandet.
Personalmangel: Es fehlen zehn Prozent der benötigten Mitarbeiter. 200 vorhandene Planstellen konnten nicht mehr besetzt werden, 300 weitere, eigentlich notwendige Stellen wurden erst gar nicht eingerichtet. Hinzu kommen gravierende Ausstattungs- und Organisationsmängel, die den Mitarbeitern die Arbeit erschweren. So mußten sich die im Bieberhaus untergebrachten Finanzbeamten statt mit Steuererklärungen wiederholt mit Kakerlaken herumschlagen.
In der Praxis geht das dann so: Ein Unternehmen schönt nach Ausscheiden eines Gesellschafters die Bilanz um 21 Millionen Mark nach unten. Das Finanzamt akzeptiert, die Gesellschafter zahlen 13 Millionen Mark weniger Einkommensteuer – verlorenes Geld, da eine Korrektur nun nicht mehr möglich ist. Oder: Eine Körperschaftsabschlußzahlung von 18,5 Millionen Mark wird 2,5 Jahre zu spät gefordert - Zinsverlust für die Stadt.
Die Schuld an diesem Notstand schiebt der Rechnungshofpräsident allerdings nicht alleine dem Senat in die Schuhe. Die Steuergesetze, so Granzow, seien inzwischen derart kompliziert, daß nicht einmal die Beamten noch in der Lage seien, damit umzugehen. Abhilfe, so Granzow, könne nur noch ein gänzlich neues Steuerrecht schaffen.
Sannah Koch
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