Post-demokratische Verwirrung bei der SPD

■ Wahl-Demokratie, aber wie: per Satellit, Telefon, Fax, Brief und/oder Urne?

Ein elektronisch aufbereiteter überlebensgroßer Rudolf Schar-ping wird am Samstag livehaftig die Delegierten des außerordentlichen Hamburger SPD-Landesparteitags besuchen. Mittags werden die ergriffenen Delegierten ihren Chef und Kanzlerkandidaten per TV-Satellitenkonferenz auf der Großleinwand des Curio-Hauses im Gespräch mit anderen SPD-Großkopfeten bewundern dürfen. Ingesamt 27 Landes- und Bezirksverbände sind zugeschaltet. TV-Demokratie pur: Von 8 bis 16 Uhr können Fragen per Fax und Telefon gestellt werden.

Das Satelliten-Geflacker veredelt einen Parteitag, der sich nebem dem Abwinken der Hamburger SPD-BundestagskandidatInnen eigentlich mit der eigenen Krise befassen wollte. Die freilich wird dem Parteitag nicht offen zur Debatte vorgelegt. Immerhin ist es dem amtierenden Landes-Chef Helmuth Frahm aber gelungen, mit der Ankündigung seines Rücktritts die gewünschte „Unruhe“ auszulösen. Inzwischen nimmt das innerparteiliche Gedaddel um Wahlverfahren und KandidatInnen jedoch geradezu groteske Züge an, wie ein SPD-Spitzenmann kopfschüttelnd bekannte: „Gegen den Virus der politischen Dummheit ist noch kein Kraut gewachsen.“ Wie gut, daß die Öffentlichkeit das meiste gar nicht richtig mitbekommt.

Zum Beispiel die Sache mit dem Wahlverfahren: Die Links-Hochburg Hamburg-Nord hatte schon das Wahlverfahren Scharpings nur mißgelaunt mitgemacht und dafür gesorgt, daß die Wahlbeteiligung in Nord weit unter dem Hamburger Durchschnitt blieb (Briefwahlunterlagen wurden praktisch nicht verteilt). Jetzt beugt sie sich widerwillig dem Vorschlag, Hamburgs neue ChefIn per Mitgliederbefragung vorzusortieren. Aus Angst vor der passiven Mitgliedermehrheit möchte sie, wie weiland die Linksfunktionäre der Studentenparlamente, eine Briefwahl verhindern und besteht auf Urnenwahl. Im Landesvorstand kam es am Dienstag zum Eklat – jetzt muß der Parteitag entscheiden. Ein Insider: „Ein kindisches Spiel.“

Dabei haben die Erfahrungen der Scharping-Wahl gezeigt, daß die „Linken“ ihre Mitglieder gar nicht so sehr fürchten müssen. Damals hatte beispielsweise die Veddel bei einer Wahlbeteiligung von 81,9 Prozent (Urnen- plus Briefwahl) nur zu 29% für Scharping gestimmt (Schröder: 34%, Wieczoreck-Zeul 36%), in Winterhude-Nord kam Scharping bei einer Beteiligung von gerade 25% (fast ausschließlich Urne) auch nur auf 24 %.

Entscheidend in Sachen Demokratie dürfte dagegen das Wahlverfahren sein. Hier bemüht sich derzeit Landesgeschäftsführer Werner Loewe verzweifelt, seinen mathematisch leicht überforderten SpitzengenossInnen beizubiegen, daß die „australische Dreier-Wette“ weitaus demokratischer ist als das biedere „Eine-Frau-eine-Stimme“, das Scharping im Dreikampf gegen das Links-Duo Schröder/Wieczoreck-Zeul so locker siegen ließ. Bei der demokratischen „Platzwette“ dagegen dürfen die Mitglieder 3 Namen mit den Prioritätsziffern 1, 2 und 3 auflisten. Vorteil: Auch bei einer größeren KandidatInnen-Zahl kommt es, so die australischen Erfahrungen, wo dieses Verfahren bei Wahlkreisnominierungen angewandt wird, meist zu eindeutigen Ergebnissen. Auch dies wird wohl der Parteitag endgültig entscheiden müssen.

Noch nebulöser das KandidatInnen-Spiel. Am kommenden Dienstag ist „Bewerbungsschluß“. Geoutet haben sich bislang lediglich Jürgen Mantell und der Blankeneser Arzt Alexander Geppert. Weitere Offenbarungen werden für Samstag erwartet, so die vom Wandsbeker Wahlverlierer Hans-Jürgen Grambow: Er scheiterte jüngst beim Kampf um eine Bundestagskandidatur an Ex-Senator Peter Zumkley, der Bezirk Altona hob ihn dennoch vorgestern auf den Schild. Die TraumkandidatIn der SPD-Basis, Marke unverbraucht, filzfrei, regierungs- und linksverträglich, ist bislang nicht in Sicht. Selbst Henning Voscherau, den manche schon an der Spitze sehen, hat bereits intern abgewunken.

Florian Marten