Pathologische Leichenplünderer

■ Klinik-Mitarbeiter verscherbelten illegal Hirnhäute von Toten an Pharmaunternehmen / Fall für den Staatsanwalt Von Sannah Koch

Der Hamburger Landesbetrieb Krankenhäuser machte gestern keinen Versuch, den ungesetzlichen Handel mit Hirnhäuten von Leichen durch das AK Heidberg zu leugnen (siehe Bericht Seite 1). Ja, es habe in den vergangen Jahren einen solchen Organhandel gegeben, bestätigte LBK-Sprecherin Ines Kehrein auf Anfrage der taz – ohne Einwilligung der Betroffenen oder Angehörigen. Und dies, obwohl die Gesundheitsbehörde und die LBK-Geschäftsleitung Organentnahmen per Dienstanweisung untersagt habe. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wurde aber nicht informiert – nicht nur ein Vergehen gegen Paragraph 168 Strafgesetzbuchs („Störung der Totenruhe“), sondern auch Strafvereitelung?

Verwirrung löste die taz-Recherche gestern in Behörde und Krankenhäusern aus – über juristische Konsequenzen herrschte bei allen Beteiligten Unklarheit. Dabei hätten sie vorbereitet sein können: Bereits im Dezember hatte das hessische Gesundheitsministerium die Hamburger Gesundheitsbehörde darüber informiert, daß das Pharma-Unternehmen Braun/Melsungen AG vom AK Heidberg und dem Marienkrankenhaus in Eilbek Leichenteile zur Arzneimittelherstellung beziehe. „Der LBK hat sofort Untersuchungen in Heidberg eingeleitet“, bestätigte Behördensprecher Joachim Breetz.

Die hatten Folgen: Zwei „nachrangigen Mitarbeitern“ aus der Pathologie, so Ines Kehrein gestern, konnte man diesen unlauteren Deal nachweisen. Ohne Einwilligung hatten sie bei Leichen Hirnhäute entnommen und an die Braun AG verkauft (Stückpreis 30 Mark) – das Unternehmen stellt daraus ein Medikament her, das bei Hauttransplantationen verwendet wird. Die Zuwiderhandlung gegen eine Dienstanweisung, so die LBK-Sprecherin, habe den beiden Mitarbeiter zum Jahreswechsel lediglich „eine scharfe Abmahnung“ eingetragen.

In Hessen und Berlin führten die gleichen Vergehen allerdings zu staatsanwaltschaftliche Ermittlungen – doch die Hamburger Strafverfolger wußten gestern noch von nichts: „Keine Verfahren in dieser Angelegenheit“, so die Auskunft. Hätte man Kenntnis von derartigen Vergehen, so ein Sprecher, müsse man wohl von Amts wegen ermitteln. Warum der LBK den Vorfall nicht an die Ermittlungsbehörde weitergeleitet hat, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen.

Auch das Marienkrankenhaus steht auf der Lieferantenliste der Braun AG – die katholische Klinik unterliege, so Breetz, aber nicht der direkten Dienstaufsicht der Behörde. Allerdings habe man der Klinikleitung im Dezember nahegelegt, solche Vorfälle künftig auch per Dienstanweisung zu untersagen. Zu den Vorwürfen mochte gestern aber niemand aus dem Marienkrankenhaus Stellung nehmen.