Fußballfans – oft besser als ihr Ruf

Wahrgenommen werden sie meist nur bei Schlägereien, oder wenn rechte Randale droht wie beim Länderspiel an Hitlers Geburtstag – doch Fanprojekte sehen sich auch als Sozialstation und engagieren sich gegen Rechtsextreme

Der jugendliche Fußballfan von Hertha BSC hatte genug gesehen. Weil sich seine Lieblinge in der Partie gegen den Wuppertaler SV zu dumm anstellten, rannte er frustriert auf den Rasen des Olympiastadions, schnappte sich den Ball und jagte damit in Richtung Tor der Wuppertaler Gäste. Die Lacher hatte er auf seiner Seite. Doch die nächsten Auftritte seines Vereins in Berlin mußte der Solist am Radio verfolgen: Er erhielt von Hertha BSC Stadionverbot.

„Die Aktion war zwar lustig“, schmunzelt Andreas Klose vom Berliner Fan-Projekt verständnisvoll über die Sporteinlage während des Trauerspiels, „aber sie hat gegen die strengen Sicherheitsbestimmungen des Deutschen Fußball-Bundes verstoßen.“

Keine Frage: Die „Spiel“- räume der Fans werden immer enger. Der „Abenteuerspielplatz Stadion“ verkommt zunehmend zum Exerzierfeld für Wohlerzogene. „Die Fans“, meint Klose, „sind eindeutig besser, als es häufig in der Presse steht. Da liest man hauptsächlich über Krieg und Randale in den Stadien, über sogenannte Vereinsanhänger, die in Wirklichkeit weder mit Sport noch mit ihrem Verein etwas am Hut hätten.“ Diesen Eindruck mag Klose nicht teilen: „Man tut damit niemandem einen Gefallen. Den typischen Problem-Fan gibt es nicht.“ Und Gewalt unter Kickerfreunden existierte auch bereits Anfang der sechziger Jahre.

Seit 1990 gibt es das Berliner Fan-Projekt – es ist bereits der zweite Anlauf. Die Gewalt im Stadion stand bei der Gründung nicht im Vordergrund, obwohl es im Umfeld der Fußballvereine Hertha BSC und FC Berlin sowie des Eishockey-Bundesligisten EHC Eisbären in den zurückliegenden Jahren immer mal wieder zu Gewalttätigkeiten oder nazistischen Auftritten kam. Der erste Projekt- Anlauf von 1985/86 war zwei Jahre später still und leise wieder eingestellt worden, nachdem Hertha BSC aus dem Profilager abgestiegen war. Gerade die „Frösche“, der gefürchtete Anhang des Berliner Proficlubs, sorgten immer wieder für schlimme Überraschungen. Mal wurden auf Auswärtsfahrten Zugabteile zerlegt, dann wieder gegnerische Anhänger brutal attackiert oder „Sieg Heil“-Rufe durchs Stadion gegrölt (ein Hertha-Fanclub nannte sich bezeichnenderweise „Cyclon B“). Mit dem plötzlichen Sturz von Hertha BSC ins Amateurlager schien sich die Sache von selbst erledigt zu haben. Aus dem Rampenlicht, aus dem Sinn. Schlechte Nachrichten über die gewaltbereiten Hertha- Fans flossen tatsächlich immer spärlicher.

Das neue Fan-Projekt ist nun sogar im Regierungsprogramm des CDU/SPD-Senats verankert. Schwarz-Rot lehnte sich dabei inhaltlich an den rot-grünen Vorgängersenat an, der die Bedeutung der vereinsunabhängigen Jugendpädagogik im Sport erstmals betont hatte. Zehn Millionen Mark jährlich von 1993 bis 95 sind bewilligt.

Der Wunsch nach einem solchen Projekt, erzählt Andreas Klose, sei von den Fans selbst gekommen. Seit längerem habe sich unter den Fans, in der Mehrheit minderjährige Kids, Frust breitgemacht, weil sie ihren Idolen nicht mehr nur durch Schutzzäune zujubeln wollen. Aber die Clubs und deren angestellte Berufssportler sahen in ihnen zuvörderst wohl nur die notwendigen Eintrittzahler, die den Saisonetat abdecken, und entfernten sich immer mehr von der Basis. Wer von den Anhängern nicht in einer eingetragenen Fangemeinde Mitglied war, hatte in der Regel das Nachsehen. Deshalb galt es, eine Lobby der Unorganisierten zu gründen, an der auch die jeweiligen Sportvereinigungen nicht achtlos vorübergehen konnten. Die Kids sollten wieder an ihren Sport herangeführt werden, indem man sich auch jenseits der Kassenhäuschen um sie kümmerte.

Gemeinsame Fahrten zu Auswärtsspielen, Treffen mit ihren Idolen und auswärtigen Fans, gemeinsame Freizeitaktivitäten, selbstorganisierte Fußballturniere, Beratung in Alltagsfragen, ja sogar Autorenlesungen – diese Aufgaben haben sich die Jugendpädagogen des laufenden Projekts an die Fahnen geheftet. So sollen auch die weiblichen Stadiongänger, bislang als „Sportbräute“ zum Anhängsel männlicher Unterhaltung degradiert, endlich zu ihrem Recht kommen. „Sie finden mit der Zeit ihren eigenen Zugang zum Sport und gehen jetzt oft ohne Jungs zum Spiel“, weiß Sportlehrerin Birgit Schmidt. Zwei Filialen teilen sich die Arbeit: eine in Charlottenburg, die jüngere, auf dem Gelände des Sportforums Hohenschönhausen, öffnete erst im November ihre Pforten.

Eine Teilung wolle damit niemand zementieren, versicherte Projektmitglied Andreas Klose, obwohl eine Grenze im Berliner Sport noch immer existiert. „Der Zusammenhalt der Fans im Ostteil“, weiß Andreas Klose, „ist wesentlich stärker als im Westen, wo die Szene unglaublich zerstückelt ist. Im Osten gilt das Wort Hooligan zudem noch als Modebegriff. Im Westteil Berlins hat es einen ganz anderen Klang.“ – „Wir begrüßen diese Initiative“, meint Lorenz Funk, Manager der Eishockey-Bundesligisten EHC Eisbären aus Hohenschönhausen. Funk hat erkannt: „Wenn wir Probleme mit gewalttätigen Fans bekommen, dann meist mit jenen, die keinen Anschluß an Fanclubs haben.“ Und selbst zum konfliktbereiten harten Kern der unorganisierten Stadiongänger, so Andreas Klose, bestünden seitens der Projekte gewisse Berührungspunkte.

Eine traurige Gemeinsamkeit müssen die Projektmitglieder in letzter Zeit jedoch feststellen: Die sportliche Erfolglosigkeit der Vereine von der Spree kennt keine Grenzen. Ob im Fußball-West oder Eishockey-Ost, Berlin ziert das Tabellenende. Und trotzdem – oder gerade deshalb: Auf den Stadionrängen stehen die jungen Jubler noch immer dicht an dicht. Die Kids sind offenbar die letzten Getreuen, die zu ihrem Club halten. Auch wenn es dabei den einen oder anderen nicht mehr auf seinem Platz hält... Jürgen Schulz