Viel Lärm um nichts

Hysterie hinter den Eiskunstlauf-Kulissen, doch der „Showdown“ bleibt aus: Kerrigan Erste, Harding Zehnte im Technikprogramm  ■ Aus Hamar Cornelia Heim

Mittwoch abend, Technikprogramm Eiskunstlauf der Frauen, des Dramas vorletzter Akt: „Es ging um Sport“, meinte Katarina Witt. Es ging um noch ein bißchen mehr. Es ging um den „Showdown“ (USA Today) zwischen Mamas Liebling, Nancy Kerrigan, und aller Leute Stiefkind, Tonya Harding. Es ging im übrigen um 25 weitere Athletinnen.

15 Uhr: Die ersten US-Fotografen stehen vor der Halle. Die besten Plätze in der ersten Reihe der Arena werden vergeben. Drei Stunden später giften sie sich in dem Räumchen an, das auf Medienhysterie der vierten Dimension nicht eingerichtet ist. Es fehlt wenig zu einer Schlägerei.

17 Uhr: Ein dichter Menschenknäuel vor dem Eingang. 6.000 Zuschauer faßt das Amphitheater. Viel zu wenige. Die Sicherheitsvorkehrungen sind wie am Flughafen: Abtasten, Taschenkontrolle. Nur tröpfchenweise kann sich die Halle füllen. Als Katarina Witt 130 Minuten später als Robin Hood auftritt, bibbern immer noch einige hundert im Freien.

17.35 Uhr: Kristin Matta, die Pressesprecherin des US-Eiskunstlauf-Verbandes gibt bekannt: „Nancy Kerrigan wird nach dem Wettbewerb Ihre Fragen beantworten. Tonya Harding wird heute nacht nicht zu Ihrer Verfügung stehen.“ CBS-Chefregisseur Rick Gentile reibt sich die Hände. 150 Millionen Zuschauer vor der Glotze prognostiziert er für heute abend. Nie zuvor waren es bei einer Sportveranstaltung mehr.

Der Countdown läuft. Fotoobjektive haben rund um das Eis- Oval Stellung bezogen. Kein Zentimeter Freifläche wird verschenkt. 19 Uhr: Es geht los. Auslöser klicken. Katarina Witt, die Olympiasiegerin von 1984 und 1988, hat ein schlechtes Los gezogen. Nur wer sich durch gute WM- Resultate empfehlen kann, wird in die letzte Startgruppe, die Gruppe der Besten, gesetzt. Katarina Witt muß wie 15jährige No-name-Läuferinnen früh ran, wenn die Preisrichter noch mit den Noten geizen. Sie wirkt nervös. „Weil auf einmal die ganze Welt zuschaut.“ Trainerin Jutta Müller streichelt ihr über die Hand, deren Finger vor Nervosität auf die Brüstung trommeln. „Representing Germany – Katarina Witt“, brüllt es aus dem Lautsprecher. Jubel brandet auf. Ihre Augen erhaschen ein Plakat: „Danke Kati, dieser Sport braucht Deine Kunst.“ „Ja“, putscht sie sich auf. „Deshalb bist du hier. Zeig's ihnen doch!“ Sie kehrt ihre Seele aufs Eis.

„Hätte mir vor zehn Monaten jemand gesagt, Katarina könnte ihre alte Technik verbessern, ich hätte ihn ausgelacht“, sagt die Trainerin an der Bande, „die Sprünge, mein Gott, höher als früher!“ Ein strahlender Robin Hood. Es regnet Blumen. Ihr Herz vollführt Freudensprünge, „meine beste Leistung“. „Was passiert, wenn Du wieder auf die Fresse knallst“, hat sie sich den ganzen Tag über gefragt. Bauchkribbeln. Obwohl der Druck diesmal „nur von innen, nicht von außen kommt“. Und jetzt – diese Genugtuung für die Eisprinzessin, die es nicht gewohnt ist, die zweite Geige zu spielen. „War mir egal“, sagt sie, schaut herausfordernd und genießt es, daß sie Journalisten – auch von CBS – umringen wie in ihren Glanztagen.

Sicherheitsstufe eins: Videokameras überwachen das Geschehen in den Katakomben. Amerikanische Fangrüppchen stehen zusammen und beratschlagen. Susan: „Wie verhalten wir uns, wenn Tonya auftritt?“ Harding läuft in der zweiten Gruppe, als Achte. Bob: „Wir machen nichts, keine Pfiffe, kein Klatschen. Nichts.“ Umgekehrt proportional zur medialen Hypertrophie ist die Resonanz auf den Rängen: spärlich die Pfiffe – positiv oder negativ? Wer weiß das schon? Schüchtern ein „Tonya“- Rufer. Harding ballt kurz die Faust, ein Stoßgebet. Sie, die nicht nur eine Millionenofferte vom Playboy, sondern auch Morddrohungen erhalten hatte, bleibt ohne himmlischen Beistand: den dreifachen Lutz regelwidrig auf beiden Beinen gelandet, Unsicherheit auch beim Salchow. Die 23jährige, die nach eigenem Bekunden in Hamar „for gold“ laufen wollte, landet auf einem ungoldigen zehnten Platz. Die Musik ihrer Kurzkür war Programm: „Viel Lärm um nichts“. Amerikanische Journalisten halten sie immer noch für überbewertet. Tonya Harding ruft den Doktor – ein Asthmaanfall. Einem Journalisten, der ihren Presseboykott nicht akzeptieren will, wird die Akkreditierung entzogen. Auf dem Eis passiert nicht viel. Katarina Witt – zum Schluß Sechste – führt immer noch. Bis die letzte Gruppe aufläuft: Surya Bonaly (3. Platz), das Sprungwunder aus Frankreich. Oksana Baiul, die Primaballerina auf Schlittschuhen, die 15jährige Weltmeisterin, die jedem Bettler auf der Straße Geld gibt, „weil es mir selbst schon so schlecht ging“. Die Waise hat bei ihrer Trainerin Galina Zmijewskaja ein neues Heim gefunden. Viktor Petrenko hat dem „Sterbenden Schwan“ Sponsoren und Kostüme besorgt. Staksig sieht sie aus mit ihren Storchenbeinchen. Fünf Zentimeter ist sie gewachsen. „Sie läuft unsauber“, sagen die deutschen Trainer. Wird Zweite.

Egal, endlich kommt sie. Die gelungene Dramaturgie ließ das Publikum auf Darling Kerrigan und ihre „Verzweifelte Liebe“ bis zur vorletzten Position warten. „Ich hoffe, sie kann auch auf dem Eis brillieren“, wünscht sich Katarina Witt etwas pikiert. „Es ist wie ein Buch, dessen Ende man so schnell wie möglich kennen möchte“, beschrieb Nancy Kerrigan ihren Gemütszustand. „Ich möchte den anderen Athletinnen nichts an Aufmerksamkeit wegnehmen“, hat sie gesagt. Und es doch getan. Dank eines fehlerfreien Vortrages – Erste. USA Today jubiliert: „Nancy on top of the world.“ Ganz Nordamerika scheint sich im Amphitheater eingefunden zu haben, US- Banner bedecken die Tribünen nahezu vollständig, acht Kinder tragen Blumen körbeweise vom Eis. Kerrigan zeigt ihr Colgate-Lächeln: „Davon habe ich geträumt.“

Ganz Amerika mit ihr. Freitag, 19 Uhr: des Dramas letzter Akt: die Kür. Das Nachspiel machen Disneyworld (Zwei-Millionen- Dollar-Vertrag mit Kerrigan), CBS, ABC und die Justiz unter sich aus.