Saxophones Ausnahmedebüt

■ Jazz = hip? Preis der Deutschen Schallplattenkritik für James Carter

Sie sehen aus wie eine zugedröhnte Outcastband aus den Schmuddelbezirken der großen Städte. Sie machen auf Dreadlocks und T-Shirts. Und glotzen vom rückseitigen CD-Cover, als wär nichts gewesen. Graig Taborn (Piano), Jaribu Shahid (Baß) und Tani Tabbal (Schlagzeug) – immerhin die Band, die dem 24jährigen Multibläser James Carter zum hipsten Plattendebüt der Jazzjetztzeit verhalf: „JC On The Set“.

Als der Kritiker Gary Giddens jüngst in der New Yorker Village Voice das Jazzjahr 1993 resümierte, fand er zwei saxophone Ausnahme-Debüts erwähnenswert: das the-harder-they-come- the-harder-they-fall-Werk von Joshua Redman, dem Überstarter mit Majorvertrag, und eben das von James Carter – das allerdings erst dieser Tage auf dem amerikanischen Markt erscheint. In deutschen Jazz-Zirkeln hingegen grassiert schon das Carter-Fieber: Gestern erhielt seine Platte den Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik; Auftritte von Carters Detroiter Youngster- Quartett bei der Berliner Konzertreihe „Jazz Across The Border“ im Juni sowie beim Frankfurter Jazzfestival im September sind bereits terminiert.

Bislang steht James Carter jedoch noch im Schatten der großen Namen. Mit dem Julius Hemphill Sextett war er 1992 beim Berliner JazzFest zu hören gewesen, mit Lester Bowies New York Organ Ensemble tourte er im vergangenen Jahr auch durch deutsche Festivitäten, und in der Mingus Big Band bläst er alldonnerstäglich im „Time Café“ in New Yorks Downtown, wo er mittlerweile auch seinen Zweitwohnsitz hat.

Die „großen Namen“ haben ihm aber auch schon Respekt gezollt. Lester Bowie verpaßte im vergangenen Jahr keine Gelegenheit, um Carter als den Hoffnungsträger des zeitgenössischen Jazzsaxophons zu preisen: „C'mon, baby! Influence me!“

Carter, in Bowies Musiker- Netzwerk großgeworden, erweist mit seinem Debütalbum nun seine Reverenz. Rauh und aggressiv überbläst er gleich im Opener das Thema des Titelsongs „JC On The Set“, als sollte die beste Stunde in Sachen Blues Shouting und Hardcore-Bop schlagen. Und tatsächlich: Was er im folgenden auf Tenor-, Alt- und Baritonsaxophon ausbreitet, ist akustisch-instrumentaler black talk von selten gehörter Intensität. Man kann das wörtlich nehmen. „Vocalization“ – so Carters Stichwort im Gespräch mit dem Jazzkritiker Howard Mandel – „heißt, das auf deinem Instrument zu schaffen, was ein Sänger mit seiner Stimme machen kann.“

Die Auswahl der acht Kompositionen seiner CD konnte Carter selbst treffen – ein gemeinhin unübliches Zugeständnis von Seiten des Produzenten. Neben der Don Byas-Komposition „Worried And Blue“ finden sich so auch sehr eigenwillige Interpretationen von Sun Ras „Hour Of Parting“ und John Hardees „Lunatic“. Zusätzlich zu drei Eigenkompositionen, allesamt bluesige Instrumentalrapper, und einer entspannten Version von „Sophisticated Lady“ zum Ausklang steht noch ein weiterer Duke-Ellington-Klassiker auf dem Programm: „Caravan“, der Titel, der ihm zugleich zum Mittel- und Höhepunkt der CD gerät.

Wie aus dem Nichts enwickelt sich dieser höchst ungewöhnliche Take zunächst fast gemächlich: als freies Klangbild mit Streichbaß, Beckengetuschel und Saxophongequake, um schließlich im waghalsigen Dialog zwischen Carter und seinem Pianisten Graig Taborn zu eskalieren. Als hätten hier Steve Coleman, Cecil Taylor und Jimi Hendrix gemeinsam am Mischpult gehockt, um dem Affengott, der über die Bedeutung in der musikalischen Sprache wacht, zu seinem Recht zu verhelfen.

Über jenen Gott handeln die Geschichten vom „Signifying Monkey“, der die Vielschichtigkeit der Codes in der oralen Tradition des black talk symbolisiert. Davon geprägt ist insbesondere die Tradition des Jazz, wie sie Lester Bowie versteht – als kreativer Lern- und Entwicklungsprozeß; und als eine besondere Art von Streitkultur, die Greg Tate mit dem afroamerikanischen (hier sehr frei wiedergegebenen) Sprichwort ironisiert: „Kannst du sie nicht durch Scharfsinn begeistern, mußt du sie halt mit Blödsinn bescheißern.“

In diesem Sinne ließe sich James Carters CD-Debüt auch hören als Monkey-Version des mittneunziger Jazz und als verschmitzt-radikaler Abgesang auf das inflationäre Traditionskloning beim Mainstream-Nachwuchs. Doch Vorsicht! Das leise, aber gewichtige Getuschel unter den Jazzverwaltern läuft, wie berichtet, bereits auf Hochtouren. „Tausche drei Joshua Redman für einen James Carter“, heißt es schon hinter vorgehaltener Hand, und man macht sich ein wenig Sorgen, was sich da alles zusammenbrauen wird. Dem Mainstream eigen sind jähe Flutwellen, vor denen sich keiner sicher wähnen kann.

Einstweilen zumindest spricht dennoch viel dafür, daß James Carter den Wüstenruf seines Mentors Bowie (den der jüngst an die junge Jazzer-Generation richtete) ernst nimmt: „Don't listen to all that bullshit, just continue to develop yourself! Don't let nobody tell you to stop.“ Genau. So wie James Carter auf „JC On The Set“. Christian Broecking

James Carter: „JC On The Set“ (DIW-875/BISS).