■ 1. Lesung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes: Enteignet sie!
Wer hätte das gedacht? Die SPD, über Jahre hinweg als Werbeunternehmen für die Toskana unter Verdacht, erinnert sich ihrer längst entschwunden geglaubten revolutionären Traditionen! Wo es um die proletarische Sache ging, galten Bürgerrecht, Rechtsstaat oder Unschuldsvermutung bekanntlich von jeher als bürgerliches Blendwerk, das bei Strafe des Untergangs den Blick auf die wahren Verhältnisse nicht trüben durfte. Taktisch nicht ungeschickt, präsentiert die SPD ihre überraschende Wende im schlichten Gewand eines Verbrechensbekämpfungsprogrammes. Zwar hat sie bereits auf ihrem letzten Parteitag klargestellt, daß sie nicht die Absicht hat, sich von den Verfassungsrevisionisten der CDU links überholen zu lassen, wenn es um so schnöden Firlefanz wie die Unverletzlichkeit der Wohnung zwielichtiger Pfeffersäcke geht.
Jetzt aber geht die SPD voll in die Offensive: Die Besitzer/innen schmutzigen Geldes sollen fürderhin nicht mehr auf so altmodische Dinge wie die sichere Feststellung strafrechtlicher Schuld oder die Urteile unabhängiger Strafrichter/innen hoffen dürfen – bei der SPD reicht und gilt ab jetzt nur noch die Vermutung. Die SPD hat sich nun dazu entschlossen, die Vermutung zum neuen kriminalpolitischen Prinzip überhaupt zu befördern. Also denn: Wer die Vermutung, sein Geld sei nicht sauber, nicht widerlegen kann oder will, der soll kurzerhand enteignet werden.
Wie leicht das geht, eine Vermutung zu widerlegen, hat uns die SPD im Umgang mit den befremdlichen Spekulationen der Witwe Brandts doch soeben selbst am besten gezeigt. Da wird man/frau den Bürger/innen, bei denen sich, wenn's um die Herkunft ihres Geldes geht, so manches vermuten läßt, doch noch zumuten dürfen, sich ohne Murren in das Geschäft der Widerlegung zu fügen. Zumal sich, wie die jüngsten Aktivitäten der Witwe Brandts zusätzlich belegen, die besseren politischen Geschäfte schon längst nicht mehr mit der Unschulds-, sondern mit der Schuldvermutung machen lassen.
„Geld ist der Lebensnerv der Organisierten Kriminalität“, meint Scharping. Genau. Denn im Gegensatz zur Organisierten Kriminalität besteht der Lebensnerv der Welt, in der wir ansonsten leben, bekanntlich ausschließlich aus der Morgenandacht, dem Nachtgebet und bei den Parteien wie der SPD dem revolutionären Glauben. Schon deshalb muß niemand befürchten, daß das Vorhaben nicht nur organisierte Schwerkriminelle treffen könnte, sondern auch die wackeren risikofreudigen Großkapitalverwerter, nach denen schließlich auch eine SPD zur Rettung des Wirtschaftsstandortes Deutschland händeringend Ausschau hält. Bleibt nur die große Frage, ob die SPD über die Kraft verfügt, ihr großes Projekt „Vermutungsenteignung“ auch durchzustehen. Wird sie dem großen schmutzigen Geld auch weiterhin mit nicht mehr in der Hand als einer bloßen Vermutung kühn die Stirn bieten? Oder müssen wir befürchten, daß sie sich am Ende doch nur mit dem gesellschaftspolitischen Kleinmut eines angeblich großen Lauschangriffs zufriedengibt? Rupert von Plottnitz
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