■ Die Renten können nur an den Reallohn gekoppelt werden
: Der Generationenkrieg droht

Was ist so falsch, wenn nach Kassandra Oskar Lafontaine jetzt auch Norbert Blüm auf die Möglichkeit realer Einbußen der Rentner hinweist? Hatten sich nicht CDU, CSU, SPD und FDP 1992 gemeinsam darauf verständigt, die Rentenentwicklung an die Nettolohnentwicklung anzupassen, und war das nicht als ein großer Erfolg gemeinsamer Verantwortung gefeiert worden? Sicher, das Gesetz ließ sich damals noch als Wohltat verkaufen, damals gab es noch Rentenerhöhungen entsprechend den Lohnzuwächsen. Doch was wie visionäre Generationenpolitik angedacht war, entpuppt sich als billige Beruhigungsstrategie. Ein Vertrag gilt in guten wie in schlechten Zeiten, das hätte das verantwortliche Konzept dieser gemeinsamen Entscheidung sein sollen. Gerade weil das Gesetz die Renten an die Nettolohnentwicklung derer, die sie erwirtschaften müssen, ankoppelt.

Gehört dieser Kniefall vor der Wählermasse der Senioren wirklich zur Wahlkampflogik? Dann gute Nacht, Deutschland! Dann wird uns bald die Demographie die Schlinge um den Hals der Demokratie legen. Als wüßten gerade die Alten nicht aus leibhaftiger Erfahrung, daß man nichts holen kann, wo nichts ist! Wer jetzt nicht die richtigen sozialpolitischen Weichen stellt, hat bald nichts mehr zu sagen. Gegen das Diktat der Mehrheit der passiven Konsumenten von Sozialleistungen wird dieses Land auf Dauer keine konkurrenzfähige Zukunft haben. Verständnis und Solidarität einfordern heißt die Devise, unzumutbare Härten ausgleichen, Chancen neu verteilen. Das wären die Parolen einer realistischen Sparpolitik.

Nicht nur Oppositionspolitikern wie Lafontaine weht der Wind scharf ins Gesicht, wenn er Wahrscheinliches behutsam ausspricht. Auch die Mahner in den eigenen Reihen der Regierung wie Friedhelm Ost, Kurt Biedenkopf und seriöse Rentenversicherungsfachleute wurden umgehend zurückgepfiffen. „Die Renten sind sicher“ ist eine Nullaussage, Herr Kohl. Wie lange, in welcher Höhe? Das will der Bürger wissen. Für wie blöd hält die Politik die Leute eigentlich? Als machte sich nicht jeder prospektiv denkende Mensch, der nicht über die beruhigenden Pensionsansprüche der Kabinettsriege verfügt, allmählich ernsthafte Gedanken über seine Alterssicherung! Wenigstens die Opposition sollte noch die richtigen Fragen stellen dürfen. Antworten werden ohnehin kaum noch ernsthaft erwartet. Daß der „Sozialexperte“ der SPD, Rudolf Dreßler, jetzt mit einem weiteren Gesetz die Renten auf dem alten Stand fixieren will, entbehrt jeder Verantwortung.

Wenn Dreßler so weitermacht, wird er noch zum Norbert Blüm der CDU. Blüm droht mit seiner Pflegeversicherung zur tragischen Figur der Regierung zu werden, vom gehätschelten Stimmenfänger vergangener Wahlkämpfe zum Klotz am Bein einer Konsolidierungspolitik. Uneingelöste Wahlversprechen rächen sich bitter. Und kurzsichtige Renten- oder Sozialversicherungslügen haben besonders kurze Beine. Das vereinte Deutschland in der gewaltigsten Strukturkrise seiner Geschichte kann es sich nicht leisten, die anschwellende Zahl von Rentenempfängern von der wirtschaftlichen Entwicklung abzukoppeln. Wer es ehrlich meint mit den Rentnern, sollte wenigstens offen sein. Sonst droht aus dem Generationenvertrag ein Generationenkrieg zu werden. Heidi Schüller

Ärztin und Publizistin, lebt in Köln