Ruandas neuer Konflikt weckt alte Sorgen

■ Streit um Übergangsregierung löste Gewaltexplosion aus / Guerilla droht

Nairobi (taz) – Mindestens 37 Tote haben die Unruhen in Ruandas Hauptstadt Kigali in den letzten Tagen gefordert – in den Krankenhäusern liegen 65 Verletzte. „Viele haben Wunden von Granaten, die in ihre Häuser geworfen wurden. Anderen sind mit Buschmessern Glieder abgehackt worden“, sagt eine Augenzeugin im britischen Rundfunksender BBC, die befürchtet: „Die Zahl der Opfer könnte noch viel höher liegen, als man bis jetzt weiß. Und die Gewalt geht weiter.“

Für den heutigen Freitag hat Präsident Juvenal Habyarimana Vertreter von fünf Parteien eingeladen, um doch noch einen Weg für die mehrfach verschobene Vereidigung des Kabinetts zu finden. Diplomaten in Kigali haben allerdings „wenig Hoffnung“, daß die Verhandlungen zu einem Kompromiß führen können. Die Gewaltakte der letzten Tage sind die blutige Begleiterscheinung eines Machtkampfes, der seit Wochen in Ruanda schwelt: Der seit 1973 regierende Präsident Habyarimana besteht auf Mitspracherecht bei der Ernennung der Minister – der designierte Premierminister Faustin Twagiramungu beharrt darauf, die Personalentscheidungen alleine zu treffen. Nachdem der Präsident Twagiramungus Kabinettsliste zurückgewiesen und eine eigene erstellt hatte, blieben dieser und seine Verbündeten der für Mittwoch geplanten Eideszeremonie fern.

Die jüngsten Entwicklungen lassen Beobachter fürchten, daß der Bürgerkrieg in Ruanda neu entflammt, der am 4. August letzten Jahres mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrages im tansanischen Arusha beendet worden war. Die Wurzeln des Krieges reichen weit in die Geschichte zurück. Vor der Unabhängigkeit 1962 hatte die Bevölkerungsmehrheit der Hutu erfolgreich gegen die jahrhundertealte Herrschaft der feudalistisch organisierten Tutsi- Minderheit revoltiert. Hunderttausende von Tutsi flohen ins Ausland.

Friedensprozeß scheitert an Mißtrauen

Ihnen nach Jahrzehnten im Exil die Heimkehr zu ermöglichen war eines der Ziele, die die Tutsi-dominierte Rebellenbewegung RPF 1990 bei ihrer Invasion von Uganda aus verfolgte. Darauf haben sich beide Seiten inzwischen geeinigt. Der Friedensvertrag sieht die Bildung einer Regierung, bestehend aus fünf Parteien und der RPF, sowie freie Wahlen 22 Monate später vor. Die UNO soll den Friedensprozeß überwachen. Der aber droht nun zu scheitern. Anhänger des Präsidenten behaupten, die Gewalt der letzten Tage sei eine Neuauflage des alten ethnischen Konflikts – die Tutsi wollten die Macht zurückerobern. Der designierte Premier Twagiramungu weist dagegen darauf hin, daß auch in der RPF Hutu vertreten sind, und er erklärt: „Die gerechte Teilung der Macht zwischen der Minderheit und der Mehrheit ist eine Verpflichtung für jedermann.“

Auch westliche Beobachter sind der Meinung, daß es im Kern nicht um ethnische Rivalitäten geht, sondern darum, daß Habyarimana fürchtet, jeglichen Einfluß zu verlieren. Er sieht sich im Parlament einer Übermacht von Gegnern gegenüber, weil nicht nur die RPF, sondern auch die meisten Abgeordneten anderer Parteien in Opposition zu dem autoritären Staatschef stehen.

Dennoch muß befürchtet werden, daß bei einem neuen Ausbruch des Bürgerkrieges aufgrund alter Ressentiments und großen wechselseitigen Mißtrauens entlang der alten ethnischen Linien gemordet wird.

Das Klima in Kigali heizt sich unterdessen weiter auf. Zwei Tage lang hatte sich Twagiramungu vergeblich um einen Termin beim Präsidenten bemüht – das Staatsoberhaupt ließ ihn von Mittelsmännern abfertigen. Die RPF veröffentlichte inzwischen ein Kommuniqué, in dem sie den Präsidenten als „Terroristen“ bezeichnet und damit droht, sie behalte sich „das Recht einer legitimen Antwort“ vor, falls sich die Lage nicht ändere. Bettina Gaus