Vorstand mit Sündenbock

Außerordentliche Hauptversammlung der Metallgesellschaft-Aktionäre / Aufsichtsrat sieht keine eigene Schuld an der Krise  ■ Aus Frankfurt/Main Erwin Single

Die Warnung von Kajo Neukirchen, war unmißverständlich. Wer dem Sanierungsplan nicht unverzüglich zustimme, beschwor der Feuerwehrkommandant der heillos überschuldeten Metallgesellschaft, der setze den Bestand des Unternehmens aufs Spiel. „Erpressung!“ tönte es aus dem Saal: die Aktienbesitzer bescherten Vorstand und Aufsichtsrat eine turbulente außerordentliche Hauptversammlung.

Gleich zu Beginn sprach Herbert Hansen, Vertreter der Schutzgemeinschaft Deutscher Kleinaktionäre aus, was sich viele wünschten — den geschlossenen Rücktritt des Aufsichtsrats. Schließlich seien die Kontrollpflichten grob vernachlässigt worden — und das von einem Gremium, in dem mit der Deutschen und Dresdner Bank, Allianz und Daimler-Benz das deutsche Wirtschaftsestablishment vertreten war.

Der weitverzweigte Rohstoff-, Recycling- und Technologiekonzern mit einem Umsatz von 26,1 Milliarden Mark und rund 57.000 Mitarbeitern war nach Ölterminspekulationen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Der Expansionskurs des vor Weihnachten gefeuerten Chefs Heinz Schimmelbusch hatte das 1881 gegründete Traditionsunternehmen an den Rand des Ruins manövriert. Ein Schuldenberg von 9,4 Milliarden Mark belastet die Bilanz, die Verluste im Geschäftsjahr 1992/93 mußten von 347 Millionen auf 1,87 Millarden Mark nach oben korrigiert werden.

Doch Deutsche-Bank-Vorständler Rinaldo Schmitz, amtierender MG-Aufsichtsratsvorsitzender, wiegelte ab: Das Gremium sei vom Vorstand über den Anstieg der Öltermingeschäfte nicht unterrichtet worden. Schmitz will davon erst Anfang Dezember durch „unbestimmte Gerüchte“ gehört haben; auf Nachfragen sei ihm erzählt worden, es gäbe da einen Liquiditätsengpaß. Der Sündenbock ist schnell gefunden: der noch kürzlich zum „Manager des Jahres“ gekürte Heinz Schimmelbusch, der inzwischen in New York zurückgezogen das Ergebnis eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwartet. Natürlich hat Schimmelbusch alles getan, seine Aktionen vor unliebsamen Kontrollen zu schützen. So wurden Protokolle der Vorstandssitzungen frisiert. Was aber die operativen Geschäfte anbelangt, will der Aufseher Schmitz bereits im letzten Jahr einen Sanierungskurs eingefordert haben.

Dennoch: Die Liste der Versäumnisse der Kontrolleure ist lang. Allein für den Einkauf von Dynamit Nobel und Buderus blätterte Schimmelbusch 1,8 Milliarden Mark auf den Tisch. Bereits hier hätten ihm die Aufseher auf die Finger klopfen müssen. Doch nichts passierte, obwohl selbst bei Schimmelbuschs Schönwetterreden durchschlug, daß sich nicht nur Goldesel unter den 256 Firmen des MG-Reichs befanden. „Das Konzernhospital ist voll“, hatte er bereits Anfang 1993 anklingen lassen. Dem Großaktionär Deutsche Bank lag außerdem bereits Ende 1992 eine Firmenanalyse vor – erstellt von der Reserch-Abteilung der Bank. Das Exposé, das Anlegern riet, ihre MG-Aktien abzustoßen, soll in der Schublade verschwunden sein.

Daran ist nicht mehr viel zu ändern. Notgedrungen plädierten die meisten Aktionäre dafür, den Sanierungsplan zu akzeptieren, der eine Kapitalspritze von insgesamt 2,7 Milliarden Mark vorsieht. Mit Firmenverkäufen soll eine weitere Milliarde in die leeren Kassen fließen; Einsparungen und ein Personalabbau von mindestens 7.500 Mitarbeitern müssen nochmals eine Milliarde bringen. Die Zustimmung zu dem Finanzpaket hatten Neukirchen und Schmitz den Gläubigern und Anteilseignern bereits Mitte Januar abgerungen.