UNO-Tribut an die realen Machtverhältnisse

■ Vom Durcheinander in Mogadischu bekommen die meisten UNO-Blauhelme, von denen 20.000 auch nach Abzug der westlichen Truppen in Somalia stationiert sein werden, kaum etwas mit

In den klimatisierten Büros der neu errichteten Fertighäuser auf dem fast einen Quadratkilometer großen Gelände der ehemaligen US-Botschaft stehen Computer, Fotokopierer und Faxgeräte. Stapel säuberlich ausgefüllter Formulare werden zwischen den Abteilungen von Unosom, der UN-Operation in Somalia, hin- und hergetragen. Akkreditierungen müssen erteilt, Waffenscheine ausgegeben und Plätze in Flugzeugen reserviert werden. Höfliche Hinweise an Wänden und Türen sorgen für geregelte Verhältnisse: „Um Durcheinander zu vermeiden, buchen Sie den Konferenzraum bitte über das Sekretariat.“

Vom Durcheinander draußen in der Stadt bekommen die meisten Blauhelme, von denen mehr als 20.000 auch nach Abzug der westlichen Truppen in Somalia stationiert sein werden, kaum etwas mit. Unosom bewegt sich vom Hauptquartier zum Flughafen nur in schwer bewaffneten Militärkonvois. Üblich ist ohnehin ein anderer Weg: ein regelmäßiger Zubringerdienst per Hubschrauber. Am Flughafen und im Hafen von Mogadischu parken Hunderte von UN-Fahrzeugen. Sie werden nicht mehr in der Stadt gefahren, das Risiko wäre zu groß. Die Geländewagen der UNO sind eine lohnende Beute für Plünderer.

Humanitäre Organisationen, auch solche der UNO, sind unterdessen zu der Praxis zurückgekehrt, die auch schon vor dem Militäreinsatz der USA im Dezember 1992 in Mogadischu üblich gewesen ist: Sie mieten Autos von Privatleuten, mit eigener bewaffneter Eskorte. Alles hat seine Ordnung: Die somalischen Beschützer können an Kontrollpunkten rote Plastikkärtchen der UNO vorweisen, die sie zum Tragen von Waffen berechtigen. Es gibt viele solcher Kärtchen in Mogadischu. Einige sind abgelaufen, andere für Organisationen ausgestellt, die längst nicht mehr in Somalia tätig sind. Die UNO-Soldaten, die nur oberflächlich kontrollieren, nehmen davon keine Kenntnis – ein Tribut an die realen Machtverhältnisse.

Außerhalb der Hauptstadt stellt der Bedarf an bewaffnetem Begleitschutz Hilfsorganisationen vor größere Probleme. „Zum Teil sind zugesicherte Unosom-Eskorten gar nicht erst erschienen, zum Teil haben sie unsere Lastwagen auf offener Straße stehengelassen und sind umgekehrt“, erzählt Uli Schmid, beim UNO-Welternährungsprogramm (WFP) in Mogadischu verantwortlich für die Logistik. Die Folge: Lastwagenkonvois, beladen mit Lebensmitteln, wurden im Landesinneren von Banditen angegriffen, Ladung und Fahrzeuge gingen verloren.

„Seit dem 25. Januar sind überhaupt nur vier oder fünf Konvois aus Mogadischu rausgegangen“, erzählt Uli Schmid. „Soviel hatten wir sonst in einer Woche. Heute früh stand wieder ein Konvoi mit 330 Tonnen im Hafen. Die versprochene Eskorte ist nicht gekommen, und niemand hat uns bisher sagen können, wann wir mit Begleitschutz rechnen können. Nach dem dritten Tag kosten die Lkw Standgebühren, dann müssen wir abladen.“ Es wäre nicht das erste Mal. Nahrungsmittel werden derzeit in Somalia nur noch an wenigen Orten als Nothilferationen verteilt. Der Löwenanteil dient als Bezahlung für Mitarbeiter sogenannter „food for work“-Programme („Nahrung für Arbeit“) oder wird an Krankenhäuser und Schulen ausgegeben.

Aber dabei wird es vermutlich nicht bleiben. „Es könnte zu einer neuen Hungersnot kommen“, warnt WFP-Agronom Renato Marai. In einzelnen Gebieten Somalias sind bereits wieder etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterernährt. In zwei landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen herrscht Dürre. In einer anderen behinderten Banditen und Kämpfe die Arbeit der Bauern, die ohnehin unter den Kriegsfolgen leiden: Wasserpumpen sind geraubt oder kaputt, es fehlt an Werkzeugen, Straßen und Kanäle müßten dringen repariert werden. „Die Ernte ist sehr, sehr schlecht ausgefallen“, meint Marai.

Unter der Hungersnot 1992 hatten vor allem jene gelitten, die der Krieg aus ihren Heimatgebieten vertrieben hatte. „Allein in Mogadischu dürfte es nach wie vor etwa 250.000 Entwurzelte geben“, schätzt Agnes Asekenya-Oonyu von der UNO-Organisation für humanitäre Nothilfe (DHA). Die Flüchtlinge kämpfen wie schon seit Jahren ums nackte Überleben. „Viele werden von den ,food for work‘-Programmen nicht erreicht“, meint Agnes Asekenya- Oonyu. „Wenn ich mit Flüchtlingen rede, sagen sie mir, daß sie an Lebensmittel kommen, indem sie Müllhaufen durchwühlen. Und was sie bei sich tragen, stammt von den Müllkippen.“

Wenig hat sich in Mogadischu seit Ankunft der ausländischen Truppen vor mehr als 14 Monaten verändert. Nach wie vor stehen Eselskarawanen am Straßenrand, die Wasserkanister transportieren. Noch immer hat rund ein Drittel der Bevölkerung keinen Zugang zu fließendem Wasser. Nur eines von zwei Brunnenfeldern der Stadt ist in Betrieb – über die Mittel, die notwendig wären, um das zweite zu reparieren, wird mit möglichen Geldgebern seit Monaten verhandelt. 1,5 Milliarden Dollar betragen die Kosten der Militäroperation von Unosom zwischen Mai 1993 und Mai 1994. Im selben Zeitraum werden Schätzungen zufolge für humanitäre Hilfsaktionen 200 Millionen Dollar ausgegeben sein.