piwik no script img

■ KolumneKaukau, pulule und Plattenläden mit „Cut-outs“

„Go to Hawaii, Hawaii, straight to Hawaii, oh do you (Honolulu, Waikiki) wanna come along with me“ („Hawaii“, The Beach Boys, 1963)

Eigentlich wollte ich heute übers Fernsehen schreiben, über David Letterman, Peter Ehrlich und die „Tagesschau vor zwanzig Jahren“. Dann war aber das Wetter so wunderschön, knallte die Sonne dermaßen glücklichmachend, gefiltert durch das Grün der Topfpflanzen in meine Augen, daß ich erstmal „Ho'okupu“ von The Pandanus Club hören mußte.

Und meine Gedanken schweiften zum Herkunftsland dieser herrlichen Musik, nach Hawaii...

Aber ich muß weiter ausholen: Als ich vor knapp einem Jahr meinen Job wechselte und ein neues Büro bezog, fanden sich dort einige Bücher, die der vorherige Nutzer dort gelassen hatte: „Grenzenlose Energie - das Power-Prinzip“ aus dem Rentrop-Verlag, „Studien- und Berufswahl 1991/92“, ein Sammelordner für die Zeitschrift „Asphalt-Kurier“, ein Norwegisch-Wörterbuch, ein Türkisch-Sprachführer - und ein Reiseführer Hawaii. Dort erfuhr ich Erstaunliches: In der Einleitung des Kapitels „Tafelfreuden“ etwa heißt es: „Wie fast alles auf Hawaii darf man auch Essen und Trinken nicht allzu ernst nehmen.“ Unter „Sprache“ stand, daß das Hawaiianische Alphabet nur zwölf Buchstaben kennt, daß Essen „kaukau“ heißt, und „pulule“ (verrückt) zu den fünfzehn gebräuchlichsten Wörtern des Hawaiianischen gehört. Und unter „Geschichtlicher Überblick“ las ich, daß die Hawaiianer bei der Kolonisation nie mitgespielt haben. Sie waren weder zu versklaven, noch freiwillig bereit (gegen Entlohnung) niedere Arbeiten zu verrichten, sie ließen sich weder so richtig annektieren noch missionieren - trotz drastischer Maßnahmen, die seitens der Kolonisatoren ergriffen wurden: So wurde der Hula-Tanz als zu anstößig verboten und als gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein neuer König seine Inthronisationsfeier unter anderem mit einer Hula-Darbietung bereichern wollte, wurde sogar der Drucker bestraft, der das Programm für das Fest gedruckt hatte...

Aber ich muß eigentlich noch weiter ausholen: Zu Lieutenant Tanaka aus der „Magnum“-Serie und vor allem zu Johnny Pineapple. Womit wir in jener Zeit gelandet wären, als die Welt noch in Ordnung, das Leben noch schön und der Autor dieser Zeilen in seiner Jugend- und Maienblüte stand. Damals - es mag heute verrückt klingen, aber es stimmt! - gab es in Hamburg noch Plattenläden. „Sonnenberg“ stand noch, „Steinway“ hatte noch seine Jazz- und seine Pop-Abteilung und in jeder kleinen Radiohöker-Klitsche gab es „Cut-outs“ zu kaufen - so nannte man jene Platten, die die großen Plattenkonzerne aus ihrem Katalog gestrichen hatten und von denen sie die Restbestände - markiert durch ein hineingestanztes kleines Loch oder eine abgeschnittene Ecke - verramschten. Für Schüler wie mich war das natürlich die Gelegenheit sich trotz geringer finanzieller Mittel eine Plattensammlung zuzulegen (bei allen meinen Freunden war das Verhältnis zwischen Normalpreis-Platten und Cut-outs ungefähr 1:9). Riesige Soul- und Disco-Bestände konnte ich mir zusammenkaufen (DM 3,- pro Stück bei „Plinus“ oder „Simon's Laden“), die euch Rare-Groove-Sammler, die ihr heute das Zwanzigfache für Johnny Bristol, Leon Ware oder Lenny Williams hinlegen müßt, vor Neid blau anlaufen lassen würden. Mein Freund Jens gab damals beim Plattenkaufen gelegentlich seiner humoristischen Ader nach und kaufte sich Platten wegen besonders irrer Cover. So kam er auch in den Besitz von „Fresh“ von Johnny Pineapple, deren Cover eine große, saftige Ananas schmückte und auf deren Rückseite der glücklich in einem 50er-Jahre-Anzug und mit Blumenkette geschmückte Künstler den Käufer anlachte. Die Musik hielt, was das Cover versprach: Johnny schmetterte mit ausladendem Belcanto Zeilen wie: „Wili 'ia ku'u pua me ka henoheno / e wehiwehi e / pua lani, pua milimili / pua kea nani i ka'u 'ike“, die niemand verstand und die doch alles versprachen. Dazu geigte ein großes Orchester, Hawaiigitarren wimmerten, Mädchenchöre schluchzten. Oh, wie viele Abende hörten wir Johnny Pineapple und überlegten uns, wie es bei den Aufnahmesessions wohl zugegangen war und wie der Drummer aussah, als er jenen nicht endenwollenden entspannten Break im Intro von „Sweet Leilani“ spielte...

So verlor ich mein Herz an Hawaii. Und dieser Text, so fürchte ich, ist zu lang geworden. Dabei könnte ich noch stundenlang weitererzählen .

Immerhin: Lied für März: „Lei pikake, lei mare'ole“ von The Pandanus Club.

Detlef Diederichsen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen