Kommentar: Weiß zieht an
■ Die Kulturszene verweigert sich (S.35)
Man möchte meinen, es sei schon peinvoll genug, daß uns am 3. Oktober der zentrale Bundesrummel zum „Tag der deutschen Einheit“ ins Haus steht. Der Senatskanzlei aber ist es keineswegs peinvoll genug. Sie trat an die hiesigen Kulturschaffenden heran mit dem Wunsch, sie mögen doch bei der Gelegenheit ein wenig Hopsassa machen vor all den Leuten.
Die Vorstellung hat etwas unbezwinglich Humoriges: Will der Senat persönlich die verhungerten Schlucker ausgraben, damit sie noch mal die Beine schmeißen? Kauft er ihnen vielleicht noch ein Fäßchen Schnaps von den gut fünf Millionen, um die er demnächst den Kulturhaushalt erleichtern will? Oder wie? Womöglich kommt er sogar, uns zum Troste, ein bißchen ins Schwitzen, denn die Übeltäter haben's auch nicht leicht, wenn unverhofft Gäste kommen.
Die Kulturszene hat natürlich ihre Chance erkannt und ein kleines Spielchen eröffnet: Sie droht damit, den ganzen vaterländischen Akt zu blamieren, indem sie sich komplett verweigert. Daß ihr dafür keine besseren Gründe einfallen als ihr Hungerleidertum, wird den Senat kaum trösten. Immerhin wird an diesem Tag das Auge der Welt durch zahllose Objektive auf unsere kleine Stadt herniederblinzeln, und Hundertschaften von Journalisten werden sich herumtreiben in dem Brimborium und nach dem wahren Leben hungern. Sie sollten nicht ungespeist nach Hause fahren. Manfred Dworschak
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