: Neue Kinder braucht das Land
...die Enkel fechten's besser aus? „Die Moskitos sind da“ im Grips Theater uraufgeführt ■ Von Anja Poschen
Was wäre, wenn... große und kleinere Parteien sich im Wahlkampf in ununterscheidbaren Standardfloskeln ergingen – und keine Alternative zueinander bieten könnten? Wenn die Reden von christlich-sozialen, demokratisch- sozialen oder ökologisch-sozialen Parteivertretern austauschbar würden? Und dann nur noch höchstens müde 30 Prozent aller Wahlberechtigten überhaupt den Weg zur Urne bestritten? Der Konjunktiv an dieser Stelle ist so überflüssig wie die real existierenden Scheingefechte, die im Moment hierzulande als Vorbereitungen zum „Superwahljahr“ (was für ein häßliches Wort!) mediengerecht serviert werden.
Nur die 30 Prozent, die sind noch zu tief gegriffen (was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden!). Ansonsten aber spiegelt die Grundsituation der jüngsten Grips-Theater-Produktion mindestens die deutsche Wirklichkeit wider. Volker Ludwig („Linie 1“, „Eine linke Geschichte“) hat sich erneut um eine interessante Uraufführung bemüht – und einen Jugendroman gripstheatergerecht dramatisiert und musikalisch untermalen lassen.
In „Die Moskitos sind da“ von Martin Kluger und Martin Rauhaus bleiben den Parteibonzen nicht nur die Wähler weg – das wäre ihnen letztlich auch völlig egal. Aber wenn sich die Sponsoren von McBeef bis McEis und wie sie alle heißen, daraufhin weigern, auch nur eine einzige müde Mark in den Wahlkampf zu stecken, dann bekommen die Zahlen eine neue Dimension: Denn – wer hätte das gedacht? – mehr Wähler sind gleichzusetzen mit mehr fester Währung.
Was tun, fragt Bundeskanzler Hülsendonk (Stefan Gossler) von der EDU im Kanzleramt auch seine Gegner von der SGD. Neue Wahlberechtigte müssen her. Wahlrecht für Ausländer? Aber die würden bestimmt nicht die EDU wählen. „Lassen Sie doch die Kinder wählen! Das sind 20 Millionen“, witzelt eine Fotografin auf der Pressekonferenz und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die von den großen Parteien am Ende auch nicht mehr in den Griff zu kriegen sind. Denn flugs beschließt man von höchster Stelle, das Mindestalter der Wähler auf 10 Jahre herabzusetzen. Die lieben Kleinen kann man schon manipulieren und formen, dazu bringen, ihr Kreuzchen an die richtige Stelle zu plazieren.
Leider haben die graubewamsten Herren in der Aufregung vergessen, daß, wer wählen darf, auch gewählt werden kann. Und eine Gruppe von Schülern des Berliner Fürst-Pückler-Gymnasiums gründet unter Mithilfe der Lehrerin Scheuven (Adelheid Kleinadam) und des Schülervaters und Juristen Frommlewitz (Andreas Hoppe) eine Kinder- und Jugendpartei. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten läuft der Laden: Die Kids benennen ihre Partei in „Moskitos“ um, und gewitzt und moskitogiftspritzend starten sie Spaßguerilla-Aktionen, die ihnen die Aufmerksamkeit des ganzen Landes beschert (und später auch die Wählerstimmen).
Wolfgang Kolneder legt in seiner Inszenierung wie schon in „Linie 1“ viel Wert auf Spielfreude und Authentizität. Es ist eine Grips-Theater-Arbeit wie aus dem Lehrbuch: Die Figuren sind klar gezeichnet, bergen wenig Geheimnisse, Sympathie und Antipathie sind eindeutig verteilt. Dennoch kommt in den über drei Stunden Spieldauer keine Langeweile auf. Regisseur und Ensemble ist es zu verdanken, daß die Rollen in ihrer Eindeutigkeit wahrhaftig bleiben, nachvollziehbar sind.
Wer glaubt nicht der trotzigen Sunny (Anja Lais), daß sie eifersüchtig ist auf Julia (Eva Blum), die Tochter des Bundeskanzlers, die sich den „Moskitos“ anschließt und mit dem Frommlewitz-Sohn Christof (Christian Giese) anbändelt und Walgesänge mit ihm hört? Oder der verwirrten Mutter, die einer Bekannten erschüttert berichtet, daß sie gestern in das Zimmer ihres Sohnes gekommen sei und die „Moskitos“ diesen gerade zum Wirtschaftsminister ernannt hätten?
Wie üblich im Grips Theater ist auch die Musik wieder hörens- und die Livegestaltung sehenswert. Birger Heymann hat die Songs und Pausenuntermalungen gemeinsam mit der Band „No Comment“ unter Leitung von Matthias Witting erarbeitet, und auch hier gilt, was für den Rest des Ensembles gilt: Es macht Spaß, ihnen allen zuzusehen, umrahmt von dem genial-einfachen Bühnenbild des Mathias Fischer-Dieskau, das in der Hauptsache aus drei drehbaren Leinwänden besteht, die mal zu Parteiplakaten, zu besprühten Graffiti- Wänden oder Zimmerwänden umfunktioniert werden (und auf die auch die fast schon obligatorische Berlin-Skyline diesmal eben projiziert wird).
Und – allen Vernunftgründen zum Trotz – bereitet auch der Ausklang des Abends viel Vergnügen: Die „Moskitos“ gewinnen zumindest in Berlin haushoch die Wahl. Ihre Befürchtungen, jetzt selbst so zu werden wie ihre grauen Vorgänger, halten sie nicht davon ab, am Schluß mit Che Guevara zu sprechen: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.“
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