Wand und Boden
: Hinterhöfe – verfallen, aber besenrein

■ Kunst in Berlin jetzt: Brice Marden, die Thomkins, Ulrich Wüst und Männliche Angst

Brice Mardens Serien-Titel „Five Threes“ (1977) erinnert nicht von ungefähr an Bildtitel von Mark Rothko, etwa „Four darks in red“. Allerdings handelt es sich bei den in der Galerie Pels- Leusden ausgestellten Arbeiten um Grafik, Radierungen mit Aquatinta. Die fortlaufend variierten „Five Threes“ – schwarze und weiße Flächen – sind zu drei symmetrisch-parallelen Streifen sortiert, wirken strikt seriell; der minimalistische Anklang durch die Reduktion der Bildformen auf die geometrisch-mathematische Grundform des Rechtecks wird aber in der Schraffur der schwarzen wie der Verunreinigung der weißen Flächen aufgehoben.

Zuviel „Handarbeit“ steht zur Minimal art ebenso quer wie die kühle, distanzierte Schwarzweiß- Grafik zur Andachtsästhetik des Colorfield painting. „Five Plates“ (1973) oder „12 Views for Caroline Tatyana“ (1977-79) und „Adriatics“ (1973) spielen analog das Kalkül der bearbeiteten und unbearbeiteten Fläche bis zur Linie, des quer oder hoch gestellten Rechtecks bis zum Quadrat durch. Der Strenge gibt der amerikanische Künstler zuletzt neuen gestischen Schwung. „Han Shan Exit 1-6“ (1992-93) und „Cold Mountain, Zen Studies 1-6“ (1991) entstanden in der Auseinandersetzung mit japanischer und chinesischer Kalligraphie. Doch auch hier bleibt Marden eigenwillig und widerständig. Das Thema der asiatischen Kalligraphie von bedachtsam ins Gleichgewicht gesetzten Tuschzeichen und leerer, weißer Fläche überführt er in formatfüllendes schwarzes Rankengeflecht. Nur in vereinzelten Blättern bricht das Gleichgewicht seines Gleichmaßes in weißen Leerstellen auf.

Bis 9. April, In der Villa Griesebach, Fasanenstraße 25, Mo-Fr, 10-18.30 Uhr, Sa 10-14 Uhr

An Eva Thomkins bewundert ihre Tochter Jenison Thomkins das „Prinzip Lebensfreude“. Es durchstrahlt kraftvoll bunt ihre Blumenstilleben ebenso wie ihre Textilarbeiten. Der Vater ist berühmt: André Thomkins. „Nie malte wer mental wie er ei wen malt er wien malte er“, schwarz auf weiß fallen die Verse auf langem Band von der Galeriewand. Und wiederum heitere Buntheit mischt sich fein, wie marmoriert, in seinen Lackpapier-Arbeiten. Der Bruder Nicolas ist für sein revolutionäres Küchendesign berühmt. Die Schwester Natalie reibt sich am verstorbenen Vater wohl am meisten, sie ist Malerin. Jenison selbst arbeitet im Bereich der angewandten Kunst, Textilkunst und Bühnenausstattung.

Zwei Brüder, Anselm und Oliver, kamen als Jugendliche bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Von allen handelt die Ausstellung, „Die Thomkins – Eine Künstlerfamilie“ in der Galerie am Lützowplatz. Jenison, die sich in afrikanischer Percussion ausbildete, zeigt einen rotgrundigen Tanzschleier, den sie figürlich und mit persischer Ornamentik bemalte. Schamanistische Einflüsse, wie sie bei Wassily Kandinsky aufgespürt wurden, vermeint man in zitterfeinen Linienrhomben zu erkennen. Nathalie Thomkins Ölbilder sind irritierend illustrativ, in einem denkwürdig manieristischen Stil, der Natur und Architektur als menschenleere skulpturale Zauberlandschaft belichtet. Skulptural sind auch die Arbeiten von Nicolas Thomkins. So der filigrane, aus lackiertem Stahlrohr gebaute Kronleuchter „La Fontaine“ und ein stummer Diener, der an Schlemmer-Figurinen denken läßt.

Bis 10. April, Lützowplatz 9, Di-So, 11-18 Uhr; André Thomkins in der Galerie Busche, bis 30. März, Bundesallee 32, Mi-Fr, 10-18 Uhr, Sa 11-13 Uhr

Auf dem Gelände der ehemaligen Gasanstalt in Prenzlauer Berg, in der Galerie „Parterre“ zeigt Ulrich Wüst „Bausteine“, „fotografische Notizen zum Prenzlauer Berg“: Backsteinfassaden, Baukeramik, Gußeisenträger, gebrochenes Glas, geteerte Brandmauern, verbröselnde Schriftenmalerei, abblätternder Putz auf großen Farbformaten. Doch alle bauliche Vergänglichkeit ist strahlend, erhaben; ort- und zeitlos. Backsteingelbe und -rote Ornamentik leuchtet gegen den preußisch- blauen Himmel. Perfekte Fotografie wie diese erinnert an Reinhard Wolffs New Yorker Wolkenkratzerbilder. Verfallene Hinterhofarchitektur zeigt sich besenrein gekehrt. Die Backsteinwand und der Anstrich der hölzernen Garagentore, die links und rechts auf die Hauswand zuführen, harmonieren in mauvefarbener Eleganz. Und die Glas-Stahl-Überdachung mit den wenigen noch verbliebenen Scheiben ist nur Zeichen eines noblen Verfalls. In einer von gußeisernen Säulen getragenen Unterführung erstrahlt die Bodenmarkierung der Stahlnägel wie die in den Boden versenkte Sternenparade der allgegenwärtigen Halogenlichter. Die farbfotografische Elegie auf den Untergang in Schönheit läßt den Betrachter orientierungslos. Es zählt das pure Design. „Salve“ liest man im blau abblätternden Terrakotta.

Bis 18. März, Dimitroffstraße 101, Mi-So, 14-20 Uhr

Die sieben finnischen Fotografen, die unter dem Titel „Male Anxiety“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst das männliche Ego hinsichtlich „Angst, Begierde, Lust und Identität“ befragen, sind ebenfalls eher elegisch gestimmt. Zumindest bei Teemu Mäki ist „Death at work“. Verdrießlich sieht der Besucher sein eigenes Spiegelbild mit diesen höchst bedeutsamen Worten geschmückt, schaut er in den ersten großen Rahmen. Links davon zieht sich ein Fotofries hin, der mit einer Texttafel abgeschlossen wird. In sich selbst ist er noch einmal durch zwei Säulenbilder gestützt, die Lektüre- und CD-Stapel des Künstlers abbilden. Der Verdruß wächst – soviel intellektuellen Mainstream muß man erst mal verdauen. Freud, Bataille, Foucault natürlich, Artaud und Elaine Scarry „The Body in Pain“ sind kulturell ebenso wertvoll wie Alban Berg, Bruckner, die Rolling Stones, Miles Davis und Ice Cube. Ansonsten ergänzen sich Schwanz und Totenkopf, Arsch und hineingestecktes Kreuz zu ebenso sinnfälligem Unsinn wie dem Hereinbrechen des Spiegelstadiums à la Mäki. Den anderen sechs Finnen muß man zugute halten, daß sich ihre nordische Melancholie keineswegs in Sauna, Suff und lonesome Cowboys ergeht.

Bis 20. März, Oranienstraße 25, tägl. 12-18.30 Uhr Brigitte Werneburg