Wenn der Silber-Hai ins Küchenfenster fliegt

■ Ziegel fliegen vom Dach, Kinder leiden an Schlafstörungen und alles vibriert: Alltag für die Berliner, die am Tempelhofer Propeller-Airport wohnen / Protest stößt auf taube Ohren

Zunächst liegt nur dieses dumpfe Grollen in der Luft. Das akustische Signal für den alltäglichen Terror. Kurz darauf mischt sich der Geruch von verbranntem Treibstoff in die Atemluft. Das Monster läßt seine Motoren warmlaufen. Wenn Anne Schmidt jetzt aus ihrem Küchenfenster blickt, glaubt sie, einen riesigen silbrigglänzenden Haifisch am Himmel zu sehen. Alles vibriert, die Luft, der Boden und sie selbst. Kurz bevor der fliegende Fisch in ihrem Zimmer zu landen droht, zieht er über sie hinweg.

Anne Schmidt wohnt in Tempelhof zwischen der südlichen und der nördlichen Einflugschneise des Flughafens. Mit dem Fall der Mauer kam der Lärm in ihre Wohnung. Ein Nachbar erzählt, die Flugzeuge starteten und landeten fünfzig Meter von seiner Haustüre entfernt. Seit Jahren protestieren die Anwohner gegen den Lärm, die Luftverschmutzung und die Gefahr, die der Flughafen bedeutet.

Anne Schmidt gründete vor sechs Jahren gemeinsam mit anderen eine Bürgerinitiative gegen den Tempelhofer Flughafen. Sie wollte den alltäglichen Terror nicht mehr hinnehmen. Ihre Kinder können nie vor 22 Uhr einschlafen und wachen um 7 Uhr auf, weil die dröhnenden Flugzeuge sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Bei einem Nachbarn fielen kürzlich Ziegel vom Dach. Nachmittagsplausch auf der sonnigen Terasse – das war einmal. Wenn sie den Tagesschausprecher verstehen wollen, müssen die Schmidts die Fenster schließen.

Die Bürgerinitiative fordert die Schließung des Flughafens bis Ende 1995. Doch bisher stießen die Lärmerprobten damit bei den meisten Politikern auf taube Ohren. Petitionen beim Abgeordnetenhaus wurden abgewiesen, Protestanrufe beim CDU-Bürgertelefon ignoriert. Bürgergespräche mit Politikern, wie kürzlich in Neukölln, erscheinen den Flughafen-Gegnern sinnlos. „Was haben Sie denn überhaupt getan in den letzten Jahren?“ fragte ein Anwohner, an die Adresse von Verkehrssenator Herwig Haase und SPD-Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt gerichtet. Die Erhöhung der Landegebühren von etwa 30 auf 80 Mark und die Vorverlegung des Nachtflugverbots von 23 auf 22 Uhr reicht den Bürgern nicht aus. „Wir wollen zwischen 20 und 8 Uhr unsere Ruhe haben“, sagt der Vorsitzende der BI, Horst Rolwes- Hollmann. Verstöße gegen das Nachtflugverbot würden sowieso nicht geahndet: „Als ich nachts mal wieder vom Fluglärm aufgewacht bin und mich am nächsten Tag beschwerte, teilte mir die zuständige Behörde lediglich mit, man habe keine Nachtflüge registriert“, sagt Heinrich Krüger, der ebenfalls neben dem Flughafen wohnt.

Wenn nachts bisweilen die Hubschrauberstaffeln des Bundesgrenzschutzes über den Köpfen der leidgeplagten Tempelhofer brummen, dann staut sich einiges an Aggressionen an. „Da zieht sich bei mir der Magen zusammen und ich bin manchmal drauf und dran auszurasten“, sagt Anne Schmidt. Manch einer hat Probleme, seine Aggressionen zu kanalisieren. Mit einer Dachlatte bewaffnet, stieg der Elektriker Volker Hoffmann vor einem halben Jahr über den Stacheldrahtzaun des Flughafens. Die angestaute Wut über den Lärm entlud er an der historischen JU 52 der Lufthansa. Ein Wasserstrahl der herbeigeeilten Feuerwehr fegte den Wüterich von den Tragflächen. Als Hoffmann neulich bei einem Treffen der Bürgerinitiative auftauchte, riet er seinen Nachbarn, doch einfach über den Zaun des Flughafens zu steigen und die üblen Flieger zu vermöbeln. Daß er bei seiner letzten Aktion verhaftet wurde, verschwieg der Mann geflissentlich.

In Sachen Lärmschutz oder gar Schließung des Flughafens wird sich in nächster Zukunft wohl nicht viel bewegen. Wenn es nach Verkehrssenator Haase geht, kann Tempelhof erst geschlossen werden, wenn der neue Großflughafen Berlin-Brandenburg steht. Das wird frühestens im Jahr 2004 der Fall sein. Vielleicht bekommt Anne Schmidt bis dahin tatsächlich einmal Besuch vom silbrigglänzenden Hai. Das ist ihre größte Angst. Annabel Wahba