■ Enthauptungen – ein kleiner historischer Rundumschlag
: Um Kopf und Kragen gebracht

Berlin (taz) – Zahlreiche Morde in Berlin und das Jahr hat gerade erst begonnen... Auf Platz 1 der Beliebtheitsliste der Medien steht derzeit die Enthauptung des Opfers. Diese Spielart, extreme Leiden zu schaffen, stellt aber beileibe kein Novum dar. Dafür ist die Köpfung bedeutend umständlicher als der Stich mit dem Messer oder der Schuß mit dem Browning. Kopfabschneiden gehört eigentlich zu den königlichen und staatsrechtlichen Tötungsmaßnahmen, das wußte schon Macbeth. Als Ludwig XVI. 1793 mit der Enthauptungsmaschine des Herrn Guillotine einen Kopf kürzer gemacht wurde, endete die Epoche des Absolutismus. Die Zeit des Kapitalismus begann.

Der Begriff des Kapitals läßt sich auf das lateinische Wort caput = Kopf, Haupt zurückführen. Die Römer nannten die Todesstrafe capitis poena. An die muß Friedrich Hegel gedacht haben, als er 1807 in seiner „Phänomenologie“ berichtet, daß ihm, sobald er die Augen schließe, blutige Häupter erschienen. Hegels „Phänomenologie“ war ein wissenschaftlicher Bericht über die Erfahrungsmöglichkeiten des Bewußtseins, und es geht dabei in der Hauptsache um die Aufhebung der Getrenntheit von Subjekt und Objekt. Gerade ein abgetrennter Kopf muß dem Philosophen deshalb wie eine gräßliche Phantasmagorie erschienen sein, die seine Theorie auf der leiblichen Ebene arg in Frage stellte. Hegels Zeitgenosse, der englische Dichter Shelley, berichtet in der Novelle „Ozymandias“ von einem kolossalen Steinkopf, den er im Wüstensand Ägyptens entdeckt. Das vom Rumpf geschlagene und zerstörte Haupt soll einstmals dem sagenhaften Ägypter Ramses II. – den die Griechen „Ozymandias“ nannten – gehört haben. In seiner Story findet Shelley unweit des Kopfes einen im Sand verschütteten Sockel mit der Inschrift: „Schaut auf meine Werke, Ihr Mächtigen, und verzweifelt. Mehr ist nicht geblieben...“

Daß auch die Bibel nicht ohne Enthauptung auskommt, belegen die Geschichten von Judith, Holofernes, Salome und Johannes. Kurz bevor die jüdische Stadt Bethulia den Assyrern übergeben werden soll, landet Judith einen besonderen Coup. Sie betört den Hauptmann Holofernes und begeht an dem betrunkenen Assyrer den Tyrannenmord: „Und Judith trat vor das Bett und betete heimlich mit Tränen, dann trat sie zu der Säule oben am Bett und langte das Schwert, das daran hing, und zog es aus und ergriff ihn beim Schopf und sprach abermals: ,Herr Gott, stärke mich in dieser Stunde!‘ Und sie hieb zweimal in den Hals mit aller Macht und schnitt ihm den Kopf ab; danach wälzte sie den Leib aus dem Bett und ging heraus und gab das Haupt des Holofernes ihrer Magd und hieß sie es in ihren Sack stoßen.“ Zurück in der Stadt, zeigt Judith den Israeliten den blutigen Kopf und befiehlt, ihn am nächsten Morgen über die Mauer zu hängen und einen Ausfall gegen die Assyrer zu unternehmen. Ohne Kommandanten verlieren die Assyrer den Kopf und fliehen.

Die mysteriöse Geschichte einer „heimlich Enthauptung“ hat Potsdam zu bieten. Es geht dabei um General von Einsiedel, der während des Schlesischen Kriegs Prag gegen eine feindliche Übermacht halten sollte. Die Preußen plagte der Hunger, sie mußten die Stadt räumen. In der Nacht vor ihrem Abmarsch desertierten mehr als 500 Soldaten. Das hatte ein Nachspiel für den General, denn er durfte am nächsten Feldzug nicht teilnehmen. Er blieb in Potsdam, wo er 1745 starb. Als wenig später seine Grenadiere vom Feldzug heimkehrten und Einsiedel nicht vorfanden, hieß es, er sei vom Berliner Scharfrichter „heimlich“ – ohne Verfahren und unter Ausschluß der Öffentlichkeit – enthauptet worden. Da der Tod des Generals nicht in das Kirchenbuch der Garnisonskirche eingetragen war und sämtliche Fragen nach dem Verbleib der Leiche niedergeschlagen wurden, entstand die Legende von der „heimlich Enthauptung“. Erst 100 Jahre später klärte sich die Affaire auf: Bei Bärwalde fand sich eine Eintragung über Todestag und Begräbnis. Man öffnete die Gruft, in der Einsiedel mumifiziert aufgebahrt lag. Der Körper erwies sich als unversehrt und ließ sich am Kopf in die Höhe heben. Der Fall der „heimlich Enthauptung“ läßt tief blicken. Daß der Vorwurf eines Meuchelmords überhaupt entstehen konnte, legt den Gedanken nah, daß ein solches Verbrechen in der preußischen Armee 1745 zumindest vorstellbar war und zeugt vom gestörten Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizieren.

In Preußen besitzt die Enthauptung Tradition. Das erfuhr Leutnant Katte, ein Jugendfreund Friedrichs des Großen, am eigenen Leibe. Als Mitwisser der Desertion des Kronprinzen wurde Katte von König Friedrich Wilhelm I. zum Tode verurteilt, nachdem das Kriegsgericht ihn bereits zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt hatte. Am 6. November 1730 früh um 7 Uhr wird Katte in Küstrin in Anwesenheit des Kronprinzen geköpft. Es war das Ende einer Liebesgeschichte! In der Nacht vor der Enthauptung brachte man Katte eine leider nicht bekannte Mahlzeit, Wein, Bier und drei Tassen Kaffee. Garnisonsprediger Besser hat Kattes Gang zum Schafott beschrieben: „Er erblickte nach langem sehnlichen Umhersehen seinen geliebten Jonathan, Ihro Königliche Hoheit den Kronprinzen, am Fenster des Schlosses, von selbigem er mit höflichen und verbindlichen Worten in französischer Sprache Abschied nahm, mit nicht geringer Wehmuth.“ Dann empfing Katte die Absolution, „entblößte den Hals, bedeckte den Kopf mit einer weißen Mütze und kniete im Sand nieder. Er rief ,Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!‘ Gleich darauf ward das erlöste Haupt mit einem glücklich gerathenen Streich durch die Hand des Scharfrichters Coblentz vom Leibe abgesondert.“ Fragwürdig an der Katte-Tragödie bleibt die Rolle des Königs, der in dem Verfahren als gnadenloser Richter auftrat. Anläßlich seines Todesspruchs hat Friedrich Wilhelm I. dem Gericht den aufschlußreichen Satz diktiert: „Wenn das Kriegs- Recht dem Katten die Sentence publiciret, so soll ihm gesagt werden, daß es Sr. Königlichen Majestät leid thäte; es wäre aber besser, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme.“ Diese Worte künden von der preußischen Staatsräson, die sich in der Folgezeit für ganz Deutschland verhängnisvoll auswirken sollte. Peter Funken