: Beginn einer touristischen Wende
Vietnam entwickelt den Tourismus und bietet Attraktionen auch in der Bergwelt im Norden Vietnams ■ Von Petra Welzel
„Jolie, très jolie“, schön, sehr schön: die Meo-Frauen in Sapa, einem Ort im Norden Vietnams, machen ihre kunstfertig bestickten Armbänder, Taschen oder Jacken TouristInnen schmackhaft. Die Frauen gehören zu einem der vielen Bergstämme, die noch heute in den nördlichen Grenzregionen Vietnams, Laos und Birmas und in den Bergen Südchinas leben.
Die Meos kamen im frühen 19. Jahrhundert von China in den Norden Vietnams. In Vietnam zählt das Volk der Meos zu den sechzig Minderheiten, die zumeist im Zentralen Hochland und in den Bergregionen des Nordens leben. Von den Franzosen – als diese Indochina noch besetzt hielten – Montagnards genannt, bezeichnet sie die derzeitige vietnamesische Regierung als „nationale Minderheiten“, denen sie mit mehr oder weniger Nachdruck versucht, die vietnamesische Kultur, Sprache, Gesellschaftsstruktur und sozialistische Ideologie aufzuzwingen.
In Sapa, 355 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Hanoi entfernt, auf 1.600 Meter Höhe liegend, ist dies der Regierung zumindest bis jetzt noch nicht gelungen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts von den Franzosen als Luftkurort auserwählt und durch zahlreiche französische Herrenhäuser und Villen ausgebaut, konnte man Sapa noch in den dreißiger Jahren von Hanoi aus bequem mit der Eisenbahn und dem Auto innerhalb eines Tages erreichen. Heute hat sich zwar die effektive Reisezeit verkürzt, aber bequem ist die Reise immer noch nicht. Die zwölfstündige Nachtfahrt mit dem Zug in die nördliche Provinzhauptstadt Laocai kann man entweder – immerhin ausgestreckt – auf einer Holzpritsche verbringen oder letztendlich nicht wesentlich unkomfortabler in einem Soft-Seat. Die letzten 30 Kilometer von Laocai hinauf nach Sapa muß der Reisende im veralteten, hoffnungslos überfüllten Busmodell auf der engen Bergstraße bewältigen. Vom Flair eines Luftkurortes ist Sapa nicht viel geblieben. Einige wenige französische Kolonialbauten werden wieder als Guesthouse genutzt. Ansonsten präsentiert sich der Ort als ein ruhiger Flecken in den Bergen. Mittelpunkt des Ortes ist der Markt, wo sich Vietnamesen und Bergbewohner, die tagtäglich hierherkommen, treffen. Die Worte jolie, très jolie und alte französische Münzen, mit denen sich die Meo-Frauen schmücken oder mit denen sie die Kopfkappen ihrer Kinder verzieren, sind die letzten Relikte vergangener Zeiten.
Sapa ist fernab jeglichen Fortschritts. Zwar gibt es Strom – meist von Generatoren erzeugt – und eine ausreichende Wasserversorgung, aber Fernseher, Radios, Autos oder ähnliches sind kaum zu finden. Die offizielle Versorgung mit Informationen über die Dorflautsprecher ist fast die einzige Verbindung zur Außenwelt.
Die Menschen leben fast ausschließlich von ihrer landwirtschaftlichen Eigenversorgung und handwerklichem Kleingewerbe. Den überwiegenden Anteil der Stämme, die sich um Sapa niedergelassen haben, machen die Meos aus. Der Durchreisende erkennt sie an ihrer dunkelblauen Tracht, die von bestickten Gürteln und Schürzen gehalten wird, ihren turbanartigen Kopfbedeckungen und ihrem Silberschmuck – hauptsächlich große Kreolen.
Die Meos haben sich in vereinzelten Familienclans in den Bergen oder im Tal niedergelassen. Dort haben sie Reis-, Hanf- und Opiumterrassen angelegt, bauen Gemüse und Obst an und halten Rinder und Schweine. Der Hanf wird zu Stoff verarbeitet, das Opium geraucht, und der Rest dient ihnen als Nahrungs- und Tauschquelle. Morgens früh brechen Frauen- und Männergruppen getrennt in Richtung Sapa auf, um dort auf dem Markt ihre Waren zu tauschen oder zu verkaufen. Babys werden von ihren Müttern auf dem Rücken getragen und mitgenommen, während die meisten kleinen Kinder, die noch nicht im Schulalter sind, zurückbleiben in den Bergen und Tälern und sich um das Vieh zu kümmern haben. Erst seit wenigen Jahren nutzen auch die Kinder der Bergvölker die Möglichkeit, die Schule in Sapa zu besuchen. Nach einer ersten Registrierung der Bergbevölkerung durch die Regierung, bei der jeder Erwachsene mit einem Personalausweis versehen wurde, ist dies nun der zweite und entscheidende Schritt des Staates, durch gezielte Erziehung in den Schulen auf das Leben der Bergstämme Einfluß zu nehmen.
Das Verhältnis der Vietnamesen zu ihren Bergstämmen ist nicht ganz ungetrübt. Dies hängt mit der Rolle zusammen, die insbesondere die Meos während der Indochinakriege gespielt haben. Da sie schon immer in den Grenzregionen gelebt haben, sich also keinem Staat wirklich zugehörig fühlen, waren sie oft zum eigenen Schutz darauf angewiesen, sich mit den Feinden, eben den Franzosen, Amerikanern und Chinesen, zu verbünden, da diese gerade in den Grenzregionen ihre Stellungen bezogen.
Tatsache ist heute, daß die Meos mehr und mehr von den Vietnamesen aus den fruchtbaren Tälern und Ebenen in die kargen Berge vertrieben worden sind. In Sapa bekommt man die Mißstimmungen allerdings nicht zu spüren; vielleicht, weil man dort so nahe beieinander lebt und versorgungstechnisch aufeinander angewiesen ist. Seit knapp einem Jahr erfreut sich der Ort wieder der Ankunft vereinzelter Reisender oder kleiner Reisegruppen – Tendenz steigend. Ein neuer Anlauf zum Tourismus nach der nunmehr vierzigjährigen Abwesenheit der ehemals französischen Naturflüchtlinge. Grund für diesen neu beginnenden Tourismus sind nicht allein die gute Luft und die grandiose Berglandschaft rundherum, die jeder leidenschaftlichen BergwanderIn zahlreiche Aufstiege ermöglicht. Auf einer zwischen drei und fünf Tagen dauernden Tour beispielsweise kann man auf 3.143 Meter Höhe den Gipfel des Phan Si Pan, Vietnams höchstem Berg, unmittelbar an der chinesischen Grenze erreichen. Aber eine ganz andere Attraktion zieht die TouristInnen an. Traditionell findet nämlich in Sapa ein großer Wochenendmarkt statt. Aus allen Richtungen kommen die Montagnards dann in den Ort. Bis heute ist dies ein Treffpunkt für die einzeln in den Bergen verstreuten Familien der Bergstämme. Man trifft sich am Wochenende in Sapa, feiert und tauscht sich aus, wobei die Jüngeren dabei gleichzeitig auf Braut- und Bräutigamschau gehen. Heute stehen jedoch die Touristen im Mittelpunkt des Marktgeschehens. Mit ihren besten Kleidern ausstaffiert, versuchen die Montagnards ihre Trachten an die speziell am Wochenende ansteigende Zahl von TouristInnen zu verkaufen. In kleinen Gruppen werden letztere von Vietnam-Tourism, der staatlichen Touristikagentur, und vom Darling-Café, dem derzeitigen Traveller-Treff in Hanoi, in Jeeps oder Kleinbussen im Angebot einer Wochenendtour von Hanoi nach Sapa gebracht. Enthalten im Angebot ist eine Unterkunft und eine etwa zwei- bis dreistündige Wanderung zu einer Meo- oder Yao-Siedlung.
Die Vermarktung des natürlichen Lebensraums der Bergstämme hat begonnen. Zu welchen zerstörerischen sozialen und umwelttechnischen Problemen der Trekking-Tourismus führt, läßt sich bereits im nicht weit entfernten Thailand oder in Nepal studieren. Noch bleibt Sapa durch die schlechte Infrastruktur ein derartiger Auswuchs erspart, denn Vietnam steht erst am Beginn seiner touristischen Wende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen