: Ein Herz für die Tourismuskritik
Der Reisejournalist Friedrich A. Wagner wurde mit einem Kolloquium geehrt ■ Von Christel Burghoff
Der Jubilar war sichtlich gerührt. Anläßlich seines achtzigsten Geburtstages hatte die Thomas- Morus-Akademie für Friedrich A. Wagner (der seit Jahrzehnten der katholischen Arbeitsgemeinschaft Freizeit und Tourismus und den Reiseseiten der FAZ verbunden ist) ein Kolloquium zur Tourismuskritik organisiert. Diese freundliche Geste für den Reisejournalisten rührte an ein Defizit: Wie der Veranstalter feststellte, ist es nach vielen Jahren aktiver Auseinandersetzung mit der Urlaubsmaschinerie ziemlich still geworden. Wenn demnächst wieder die Internationale Tourismusbörse stattfindet, gibt es auch keine tourismuskritische Plattform mehr. Die „Selbsttötung“ der Arbeitsgemeinschaft Tourismus mit Einsicht (Heinz Hahn) ist ein Verlust. Im vergangenen Jahr wurde auch der Studienkreis für Tourismus aufgelöst. Sein langjähriger Leiter Heinz Hahn moderierte nun das Podium aus Pressevertretern (Ulla Schickling von der Frankfurter Rundschau, Theodor Geus von der FAZ und Klaus Betz, freier Journalist) und einem Vertreter der TUI (Hans Martin Müllenmeister).
Dem TUI-Mann Müllenmeister war, wie er im Laufe der Veranstaltung preisgab, seinerzeit der Schreck in die Glieder gefahren. Kulturkritiker à la Enzensberger hätten Reiseleiter als KZ-Schergen hingestellt, die Touristen herumkommandieren ... „Die Tourismuskritik vor zwanzig Jahren war in keinem guten Zustand, sie hatte ein gestörtes Verhältnis zur Realität“, meinte er, munter in den alten Erinnerungen kramend. Denn, der Branche selbst war die Kritik immer lästig. Nun sind die Kritiker versprengt. Aber erstaunlicherweise halten die Wallungen an. Die einen (das „Häuflein der Gutwilligen“, Geus) drücken die sogenannte Leiche ans Herz, die anderen (Branchenvertreter) dreschen sie fleißig.
Was hat sie bloß bewirkt, daß man sich so nachhaltig mit ihr befaßt? Stellt man sich ernsthaft diese Frage, so war es eigentlich nichts Konkretes – oder es waren eben alle Denkanstöße, die den Tourismus zumindest ökologisch korrigiert haben. Geus hält die Tourismuskritik zwar nur für ein „intellektuelles Spielzeug, mit dem man wenig ausrichten kann gegen die gemeinsame Verschwörung der Branche, Touristen und Empfängerländer“, und Schickling meinte, rückblickend, daß die Kritiker wohl die „Hofnarren“ der Branche waren. „Man hat sich drüber totgelacht, aber mit dem Gefühl, es könnte ja etwas Wahres dran sein.“ Dennoch hat die Branche Veränderungen durchgemacht. Sich umweltgerecht zu geben gehört zum guten Ton, bemerkte Geus. Müllenmeister bestätigte dies gern und wollte Belege bringen: „Die Selbstverständlichkeit, mit der heute Klärwerke gebaut und Müllkonzepte verwirklicht werden, ist neu. Und ich frage mich, ob das nicht schon viel ist ...“ Ein Erfolg der Tourismuskritik? Diese Frage, die sich zwangsläufig daran anschloß, konnte nicht beantwortet werden. Ohnehin hat das Umweltengagement der Tourismusbranche unter Fachleuten keinen guten Ruf. Allzugern heftet sich die Industrie Selbstverständlichkeiten wie Blumen ans Revers. So konnte auch Klaus Betz kaum ökologische Neuerungen erkennen. Vielmehr habe die Branche ein „cleveres Öko-Marketing“ entwickelt, meinte er. Frei nach dem TUI-Slogan „Wir kümmern uns um jeden Dreck“ stelle die Industrie „Persilscheine“ für ökologische Unbedenklichkeit aus. Der Kunde bucht dann zwar alles, aber ob's der Umwelt dient, darf in der Tat bezweifelt werden. Die Umweltverantwortlichkeit, die Kritiker von der Industrie forderten, könnte so zum schlichten Werbe- und Verkaufsinstrument geraten sein. Ein Scheinerfolg also, der die „Hofnarren-These“ stützt.
Andererseits, so Geus, habe die Kritik in vielen Bereichen das touristische Verhalten beeinflußt. Ein Erfolg zweifellos, mit positiven Wirkungen? Wie beim klassischen Arbeitskampf zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern könnten auch die Touristen der Industrie mehr und mehr abfordern. Die Freizeitindustrie, meint Geus, reagiere nur auf Druck. Das Stichwort „Tourist“ griff auch Müllenmeister auf: Wortreich die klassische Marktideologie rezitierend, wonach der Kunde die Welt bewegt, verlangte er mehr von diesen willigen und aufgeklärten Touristen – wenn sich etwas ändern soll: „... ich glaube nicht, daß der Reiseveranstalter irgendeinen Einfluß auf seinen Kunden hat ... wir sind eine Marktwirtschaft – es gibt nur zu wenig gute Angebote“.
Dieser Logik zufolge bewegt der Tourist nicht bloß die Welt – er trägt natürlich auch die ganze Schuld an den industriellen Zerstörungen. Wie immer schob der Branchenvertreter den Schwarzen Peter weit von sich weg und erzielte damit den erwarteten Widerspruch von ehemaligen Tourismuskritikern im Publikum. Wenn schon Nostalgie, dann bitte klassisch – mit alten Konfrontationen und alten Positionen. Denn schon damals, vor zehn oder zwanzig Jahren, ging es um dieselben Themen. Wenn Kritiker beispielsweise die Konsumentenmanipulation, die Grenzen des Wachstums oder die Verantwortlichkeit für das Produkt Reisen thematisierten, dann standen sie generell ignoranten Branchenvertretern gegenüber. „Ich kann doch nicht diejenigen, die dies organisieren, aus der Verantwortung entlassen“, so die klassische Haltung der engagierten Kritiker, die auch Betz hier einnahm.
„Wenn ich das alles höre, ist „Tourismuskritik nötiger denn je“, meinte Schickling schließlich. Denn auch die neuen „guten“ Angebote, die Müllenmeister vorschweben, sind im Grunde genommen nicht „besser“: Statt neue Benidorms hinzustellen, baut man lieber „landestypisch“ in die Breite und verbraucht damit noch mehr Landschaft; vor allem baut man stets neue und modernere Anlagen – was mit den Altlasten geschieht, ist weiterhin offen. In der Landschaft wird es enger – „die Verhältnisse spitzen sich zu“, so Schickling.
Wir brauchen sie also, die Tourismuskritik. Woher nehmen? Wie soll sie aussehen? Betz denkt über ein touristisches Greenpeace nach. Geus will wieder „härtere Töne“ im intellektuellen Disput. Sein Tip für die Zukunft: „Neue Denker braucht das Land!“ Last but not least zog Altmeister Hahn ein perfektes Fünf-Punkte-Programm aus der Tasche. Von einem tourismuskritischen Standardwerk (das erst noch geschrieben werden muß) über die Wiederbelebung von „Tourismus mit Einsicht“ bis hin zu einer neuen „Denkfabrik“ reichen seine Vorschläge. Kurzum: eine neue alte tourismuskritische Infrastruktur muß her. Also: alles noch einmal von vorn?
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