Editorial

Daß es krank macht, die Wahrheit nicht zu wissen und nicht sagen zu dürfen – diese Erkenntnis hat in der Psychologie vor allem durch Alice Miller wieder Verbreitung gefunden. Judith Zur hat sich mit durch den Bürgerkrieg traumatisierten Menschen in El Salvador beschäftigt. Sie zeigt, daß der Verzicht, die Wahrheit zu sagen – sei es aus Angst vor Repressionen, aus Scham oder durch einen Verdrängungsprozeß –, zu Mythenbildung und physisch manifesten Krankheiten führt. Auf einer Konferenz in London, über die auf diesen Seiten ein neuer Mitarbeiter von Index, Adam Newey, exklusiv für die taz berichtet, hat sie zusammen mit Albie Sachs und anderen, die aus Südafrika und Korea berichteten, ihre Ergebnisse vorgestellt.

Adewale Maya-Pearce hat sich in einer Rede in Nigeria vor nigerianischen Schriftstellern mit einer anderen Wahrheit beschäfigt – einer Wahrheit, deren Mißachtung seiner Auffassung nach zur Selbstüberschätzung der nigerianischen Literaten beigetragen hat. Bei dieser Wahrheit geht es um den extremen Sexismus, der viele afrikanische Gesellschaften – und Literaturen – prägt und durch den reaktionäre Herrscher, darunter auch Diktatoren, indirekt gestützt oder doch nicht radikal genug in Frage gestellt werden. Nicht das erste Mal weist Maya-Pearce darauf hin, daß die Tendenz, afrikanische SchriftstellerInnen auf eine bestimmte Sprache zu verpflichten, neben der Unterdrückung von Frauen ein weiterer hilfloser Versuch ist, eine Tradition und Authentizität zu konstruieren, wo vielmehr schon längst die Anerkennung von Komplexität gefragt wäre.

Da Index on Censorship erst im Mai wieder auf englisch erscheint, habe ich die Gelegenheit genutzt, in den Archiven zu kramen. Das Ergebnis sind die Texte zu Jugoslawien aus dem Jahr 1972, in denen der heutige Präsident Kraotiens, Franjo Tudjman, als kroatischer Nationalist auftaucht, der soeben verhaftet worden ist ...

Ein Nachtrag noch zum Artikel über Taslima Nasrin von S. Kamaluddin in der letzten Folge. Aus Platzmangel unterblieb der Quellenhinweis, der hiermit nachgeholt sei: Sein Artikel erschien am 28. Oktober 1993 in der in Hongkong erscheinenden Far Eastern Economics Review. Erwähnt hatte ich – und tue es hiermit noch einmal –, daß seit Herbst letzten Jahres zahlreiche Demonstrationen für und gegen Taslima Nasrin in Bangladesch stattgefunden haben und sich besonders die Frauenorganisationen Bangladeschs und Indiens mit ihrem Fall befassen. Uta Ruge, London